Gnadenlose Strafe für Ersttäter

Zwei Jahre Haft ohne Bewährung für Jugendlichen in Berlin, der mit Flusssäure öffentliche Glasscheiben ätzte. Strengere Verfolgung als bei Graffitisprayern

BERLIN taz ■ Zu spaßen ist mit Flusssäure nicht. Denn bereits eine flüchtige Berührung mit dieser giftigen Substanz führt zu schweren Verätzungen von Haut und Knochen. Dennoch gibt es einige in der Streetart-Szene, die diese Säure verwenden, um ihre Tags (Namenszüge) in Glasscheiben zu verewigen. Die Szene nennt diese besonders gesundheitsgefährdende Variante „Etching“. Nun hat ein Amtsgericht in Berlin einen 24-jährigen „Etcher“ zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt, weil er Schriftzeichen in Glasscheiben eines S-Bahn-Wagens und in die Scheibe eines Infokastens auf dem Bahnhof geätzt hatte.

„Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte in insgesamt sechs Fällen fremdes Eigentum beschädigt hatte“, sagte Iris Berger, Gerichtssprecherin des Amtsgerichts Tiergarten. Sie begründete das verhältnismäßig harte Urteil damit, dass der 24-Jährige in zwei dieser Fälle Flusssäure benutzt habe. Der Umstand, dass es sich bei Flusssäure um eine sehr gefährliche Flüssigkeit handele, sei als „strafverschärfend“ bewertet worden, so die Sprecherin. Das Urteil sei noch nicht rechtskräftig, der Angeklagte könne noch in Berufung gehen.

Seit Jahresbeginn wurden in Berlin 51 Schmierereien mit Flusssäure registriert. Im Gegensatz zum „Scratching“, bei dem mit scharfen Gegenständen ins Glas gekratzt wird, frisst sich beim „Etching“ diese farblose Säure durch die Scheiben von Fahrstühlen, Telefonzellen oder gläsernen Informationstafeln. Vor allem Verkehrsbetrieben entstehen für die Beseitigung Kosten in Millionenhöhe.

Personen sind durch die giftige Substanz zumindest in jüngerer Zeit nicht zu Schaden gekommen. Säurespezialisten schlagen dennoch Alarm. Dabei seien Verätzungen der Haut gar nicht das Hauptproblem, sagt Diplomchemiker Roland Stiegler von der Berufsgenossenschaft Chemie. „Die Säure dringt vielmehr tiefer in das menschliche Gewebe ein und schädigt unter anderem auch Knochen“. Das Bedrohliche sei der Eingriff in den Stoffwechsel des Körpers, warnt Stiegler. Dadurch bestehe die Gefahr, dass Leber- und Nierenschäden auftreten.

Benedikt Lux, innenpolitischer Experte der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, ist im Fall des 24-Jährigen dennoch skeptisch, ob das Strafmaß nicht zu hoch ist. „Bei den Zuständen in den Berliner Gefängnissen ist zu befürchten, dass er als Ersttäter nach zwei Jahren noch krimineller wieder herauskommt.“ Sein Amtskollege von der SPD, Thomas Kleineidam, wollte aktuelle Gerichtsurteile nicht bewerten, findet es grundsätzlich aber angemessen, „wenn die Richter bei Nutzern von Flusssäure deutlich härter reagieren als bei Sprayern“. Immerhin würden Etcher bewusst in Kauf nehmen, dass andere Menschen verletzt werden können.

Gerichtssprecherin Berger wollte zwar nicht bestätigen, dass es sich bei dem harten Urteil um ein Signal an an alle richtet, die mit Flusssäure hantieren. Grundsätzlich sei bei der Strafzumessung aber erlaubt, „abschreckende Gesichtspunkte“ hinzuzuziehen.

Der zuständige Dezernatsleiter im Berliner Landeskriminalamt, Andreas Grabinski, warnte vor allzu großer Hysterie. Er geht bislang von „einzelnen Chaoten“ aus, die für diese Form des Vandalismus verantwortlich seien. Er wies daraufhin, dass in jüngster Zeit die Zahl der Flusssäure-Vorfälle deutlich zurückgegangen ist. FELIX LEE