Kabinett in der Schwebe

Der türkische Nochpräsident Sezer weigert sich, die Liste mit Erdogans neuer Ministerriege anzunehmen

ISTANBUL taz ■ Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat gestern vergeblich versucht, sein neues Kabinett auf den Weg zu bringen. Erdogan, der Anfang der Woche vom kommissarischen Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer noch mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt wurde, wollte ihm seine neue Kabinettsliste präsentieren. Doch Sezer verweigerte die Annahme. Er solle seine Kabinettsliste dem künftigen Staatspräsidenten vorlegen, er werde sie nicht mehr zur Kenntnis nehmen, beschied er Erdogan.

Hintergrund der Weigerung Sezers, das Kabinett abzusegnen, ist die nächsten Montag beginnende Wahl eines neuen Staatspräsidenten. Für das Amt wird Außenminister Abdullah Gül kandidieren, den Sezer und die kemalistische Opposition heftig bekämpfen. So werden sich die als neue Minister vorgesehenen AKPler nun gedulden müssen, um in ihren Ämtern bestätigt zu werden. Nach bisherigen Informationen soll Wirtschaftsminister Ali Babacan, der zugleich Verhandlungsführer gegenüber der EU ist, Gül als Außenminister nachfolgen. Als neuer Justizminister wird Parlamentspräsident Bülent Arinc gehandelt. Neuer Wirtschaftsminister wird voraussichtlich Mehmet Simsek, Investmentbanker von Merril Lynch, den Erdogan aus New York holte, damit er für das Vertrauen weltweiter Anleger in die Türkei sorgt.

Das scheint derzeit besonders nötig, denn die Kurse an der türkischen Börse brechen noch stärker ein als an den anderen großen Börsen. Nachdem die Börse in Istanbul am Mittwoch bereits 4,5 Prozent verloren hatte, stürzte sie gestern noch einmal um sieben Prozent ab. JÜRGEN GOTTSCHLICH