Hand in Hand mit einem Nudelsalat

SOZIALSTUDIE „Moabit kommt“ und den Mietern schwant Böses: Das Stück „Schöner Wohnen“ verhandelt nicht nur die Gentrifizierung, sondern, man ist ja im Grips, auch das Zwischenmenschliche der Mietergemeinschaft

Steiof und ihr Ensemble kennen ihre Moabiter Pappenheimer genau

VON JULIA NIEMANN

„Schau doch mal rein, wie wir leben, vielleicht gibt‘s da Parallelen. Wir wollen hier schöööner wohnen, denn jeder Tag soll sich lohnen“, singt die Mietergemeinschaft der Weddinger Allee 354 in Moabit auf der Bühne des Grips-Theaters. Und „Schöner wohnen“ heißt auch die Inszenierung der Regisseurin Franziska Steiof, die am Freitag als erstes Stück unter der neuen Intendanz von Stefan Fischer-Fels herauskam. Nach vierzig Jahren beerbt er Volker Ludwig.

Das Plakat des Stücks zitiert das berühmte Nacktbild der Kommune 1, dabei hätte es auch dem blauen Lindenstraßen-Motiv nachempfunden sein können, denn wie in einer daily soap werden hier eingangs die gripsüblich-überzeichneten Berliner Hausbewohner-Charaktere präsentiert. Wärmedämmung, Cerankochfeld und Balkone wollen die alleinerziehende Journalistin Adile (Katja Hiller), das spießige Pärchen Anja (Nina Reithmeier) und Markus (Florian Rummel) und der Unternehmensberater Cyrus (Robert Neumann) – die junge Studentin und Edelnutte Charlotte will sowieso gleich alle Wände für ein schickes Loft rausreißen. Hausbesitzer Harald (Thomas Ahrens) sieht sich gezwungen, das Haus an die „Activare“-Group zu verkaufen – die prompt die Mieten erhöht und Leute wie den Punker Paul natürlich sofort loswerden will.

„Mit den Balkonen fängt alles an“, weiß der natürlich auch und sieht das ganze Elend der Gentrifizierung mit Einkaufzentren, Grünflächen und Kitas auf sich zurollen. „Moabit kommt“ heißt die Losung der Stunde und ob sie es wollen oder nicht, das wird die Lebenssituation der Hausbewohner verändern. Eine Situation, wie sie aktueller kaum sein könnte, denn in letzter Zeit finden viele Berliner Briefe mit Mieterhöhungsankündigungen in ihren Briefkästen.

Dass manche deswegen an diesem Wochenende gegen die steigenden Mieten demonstrierten, andere womöglich Autos oder Kinderwägen anzünden, thematisiert dieser Abend nicht. Das äußere Setting der drohenden Latte-Macchiatisierung Moabits dient hier eher als Rahmen einer Sozialstudie des Zwischenmenschlichen. Menschen, die nichts als dieselbe Adresse verbindet, müssen sich plötzlich zwischen Abfindung und Umzug oder saftiger Mieterhöhung entscheiden. Diese Bedrohung von außen kann die fragile Fassade eines gestressten Großstadtmenschen derart erschüttern, dass sein ganzes Lebensmodell ins Wanken gerät. Im Ausspielen dieses Moments, wenn das entscheidende „Zuviel“ das Fass zum Überlaufen bringt, liegt die Stärke von „Schöner Wohnen“.

Zwar hätte eine halbe Stunde und der eine oder andere gecoverte Popsong weniger dem Stück sicher nicht geschadet. Aber auf diese Weise werden die Entwicklungen der Charaktere zu Ende erzählt.

Es ist keine schablonenhafte Momentaufnahme, die wir hier sehen, denn Steiof und ihr Ensemble kennen ihre Moabiter Pappenheimer genau. Deshalb verursacht Adiles Verzweiflungsausbruch angesichts eines weiteren Umzugs allein mit zwei Kindern auch empathische Gänsehaut. Tough und doch zerbrechlich, einsam und wütend ist diese Frau, die den hohen Preis der Existenzangst für ihre Unabhängigkeit bezahlt.

Großartig, wie das Handwerker-Beamten-Pärchen Anja und Markus Hand in Hand mit einem Nudelsalat unterm Arm zur Mieterversammlung kommt. Wie Markus keinen Satz zu Ende spricht aus Unsicherheit, etwas Falsches zu sagen, und nur für den Fußballverein Eisern Union wirklich brennt. Interessant auch die gebrochene Figur des Vermieters Harald, der auf der einen Seite mit Punkerpaule kifft, auf der anderen Seite für Adile Sechs-Gänge-Menüs kochen will, zur Mieterversammlung geht und gleichzeitig die Millionen für den Verkauf einstreicht.

Besonders lustig sind die nicht enden wollenden Beraterfloskeln, die Cyrus am laufenden Band in sein iPhone brabbelt. Dass diese dunkle Seite der Macht auch etwas Verführerisches haben kann, erkennt man leider nur an der Anziehung, die er auf Adile ausübt. Eigentlich wäre die vom Leben gelangweilte, materielle, wunderschöne Charlotte viel eher was für ihn als Adile, aber Cyrus mag eigentlich sowieso nur die Vorstellung, dass seine Arbeit sich lohnt.

Am Ende wird man in die Nacht entlassen mit der Gewissheit, dass Veränderung zwar Angst macht, aber immer noch besser ist, als der von Punkerpaule verteidigte Stillstand – denn das ist der Nudelsalat unter den Lebensentwürfen.

■ „Schöner wohnen“: wieder am 16. und 17. September, 19.30 Uhr, im Grips Theater