Wider den Zeitgeist von Suburbia und Architainment

NACHRUF Der Soziologe und Kulturtheoretiker Werner Sewing ist im Alter von 60 Jahren gestorben

Leidenschaftlich und radikal, nämlich auf den Grund gehend, war der Soziologe und Theoretiker Werner Sewing, wenn es um Architektur, Stadt und Gesellschaft ging. Wie nur noch wenige andere pflegte er die Kultur des Diskurses, des produktiven Streits. Weshalb Werner Sewing in den 90ern rasch zu einer der zentralen Stimmen gegen das Planwerk Innenstadt wurde, das mit gleichförmigen Hausrastern, monotonen Fensterreihen und steinernen Kleidern sinnentleerte Vergangenheit zu revitalisieren versuchte. Er starb am 27. Juli nach kurzer Krankheit.

Im sogenannten Berliner Architekturstreit analysierte er für jedermann verständlich, welche Gruppen hier mit welchen Interessen den Raum der Stadt für sich beanspruchten. Wider diesen wie alle weiteren Versuche neokonservativer Sinnstiftung erhob der glänzende Rhetor unermüdlich seine Stimme für die Weiterentwicklung der Moderne, für einen humanen Städtebau und neuen Mut zu Experimenten, in welchen Räumen wir künftig leben wollen.

Ein Kind des kritischen Zeitalters war der 1951 in Bielefeld geborene Sewing. Dort studierte er in den 70er Jahren Soziologie, Geschichte, Politik und Psychologie. Dort lehrten der Soziologe Niklas Luhmann und der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler, die sein Denken prägten. 2008 erhielt Werner Sewing in Karlsruhe eine feste Professur für Architekturtheorie. Dort wollte er zusammenführen, was er zuvor oft nur andeuten konnte, nämlich Gesellschafts- und Raumanalyse als Einheit. Er analysierte scharfzüngig die neue Urbanität und Privatisierung des öffentlichen Raums, Suburbia und Architainment, aber auch die Nachkriegsmoderne und immer wieder das Wohnen, wofür er nicht den Weg ins Feuilleton von taz oder Zeit scheute. Aus dem Soziologen war ein umfassender Kulturtheoretiker geworden, der vielen Initiativen im In- und Ausland ein wertvoller kritischer Begleiter war. CLAUS KÄPPLINGER