Käthe kümmert sich

PARTEI ERGREIFEN Regisseurin Friederike Heller wirft an der Schaubühne einen kritischen Blick auf die Frauenrollen in Hauptmanns „Einsame Menschen“ und befreit eine Hausfrau vom Bild des weinerlichen Dummchens

Heller stellt uns die Frau der Gegenwart als patente Familienmanagerin vor

VON BARBARA BEHRENDT

Vier Stühle in den vier Ecken eines Quadrats, aber fünf Schauspieler – ein Blick auf das Bühnenbild lässt vermuten, dass an diesem Abend einer zu viel sein wird. Wer diese „Reise nach Jerusalem“ verliert, bleibt in der Versuchsanordnung der Regisseurin Friederike Heller bei der Inszenierung von Hauptmanns „Einsame Menschen“ lange offen. Man würde zunächst auf Anna Mahr tippen: die emanzipierte Intellektuelle bringt als neue Hausfreundin die vier Grundpfeiler des Hauses Vockerat ins Wanken. Vielleicht macht aber auch Johannes Vockerat, der junge Hausherr, schlapp beim Versuch, Ehe und Selbstentfaltung zu verbinden. Oder muss seine Frau Käthe an der geistreichen Konkurrentin zu Grunde gehen? Der Maler und Jugendfreund Braun hält mit seinen Künstleridealen eine weitere Ecke besetzt, den letzten Platz verteidigt der unerschütterliche Glaube an den lieben Gott – verkörpert von Ernst Stötzner in Personalunion von Vater und Mutter Vockerat und Pastor.

Zu fünft allein

Sabine Kohlstedts Bühnenbild setzt deutliche Zeichen: Ziemlich beengt ist der Platz auf diesem gefliesten Küchenquadrat, das sich immerfort um sich selbst dreht. Auch die Stühle in den Ecken lassen sich drehen wie Bürostühle. Weil dieses „Haus“ einsam im schwarzen See schwimmt, der die restliche Bühne knöcheltief unter Wasser setzt, und weil darüber auch noch eine Wohnzimmerlampe ihre Kreise zieht, liegt die Assoziation nahe: Ein Fortkommen gibt es nicht – hier dreht sich die Sonne um die Erde, anderswo ist Einsamkeit. Auf diesem Floß ist man zu fünft allein. Mitten im Wasser spielt dazu hin und wieder der Pianist Michael Mühlhaus am Flügel elegische Melodien.

So offensichtlich wie die existenzielle Verortung des Familiendramas ist auch die Verteilung der Sympathien. Mit den Überspanntheiten von Johannes Vockerat hat Heller wenig Mitgefühl. Tilman Strauß spielt ihn als wehleidigen, egozentrischen Neurotiker, dessen Geist so arrogant ist wie zerstörerisch. „Von diesem wundervollen Wesen kannst du noch viel lernen!“ rät er seiner Frau, als Anna sich flirtend einquartiert.

Wenig ernst nimmt die Regisseurin auch die frommen Predigten der Eltern-Generation. Ernst Stötzner, in schwarzem Pietistenrock, macht sich und dem Publikum einen großen Spaß daraus, die gottesfürchtige Mutter Vockerat zum tattrigen Mütterchen werden zu lassen.

Nein, Hellers Interesse liegt eindeutig bei den jungen Frauen und ihren Rollenbildern. Während Gerhart Hauptmann die Ehekrise von allen Seiten beleuchtet und den Konflikt zwischen Konvention und Freigeisterei ungelöst lässt, macht sich die Regisseurin für die pragmatische Hausfrau und Mutter stark. Die schwächliche Käthe, die bei Hauptmann kaum den Mund aufkriegt und ständig anfängt zu heulen, wenn ihr Mann nicht nett zu ihr ist, will man selbst nicht gerade zur Frau haben. Ganz anders die Käthe, die Eva Meckbach spielt: Energisch tritt sie Johannes entgegen. Krank zwar, von den Verletzungen wund geschürft, aber doch kämpferisch. Während ihr Gatte mit der Hausfreundin über die „philosophisch-kritisch-psychophysiologische Arbeit“ schwadroniert, kümmert sich Käthe um Kind, Haus und Finanzen. Als das Geld knapp wird, macht sie Pläne, arbeiten zu gehen.

Friederike Heller, selbst Mutter und viel inszenierend, stellt uns die Frau der Gegenwart als patente Familienmanagerin vor. Sie ist nicht geistlos, sie ist geerdet. Gegen diese Form der Emanzipation sieht Anna Mahr alt aus: Jule Böwe gibt sie als selbstsüchtige Verführerin in Highheels. Unabhängig zwar – aber ihre Geistesschärfe bleibt eine Behauptung, man spürt nur Bildungsattitüde und eine einsame, haltlose Freiheit.

Das ist eine spannende neue Lesart der „Einsamen Menschen“. Nur ergeben kluge Überlegungen noch keinen gelungenen Theaterabend. So klar und poetisch das Bühnenbild aufs erste wirkt, so wenig Dynamik kann es auf Dauer bieten. Das Gleiche gilt für die überdeutlich gezeichneten Figuren – auf diesem winzigen Quadrat ist kaum Entwicklung möglich, das monotone Rotieren der Bühne wird streckenweise zur Einschlafhilfe.

Die „Reise nach Jerusalem“ verlieren am Ende alle. Anna wird vor die Tür gesetzt, und Johannes bringt sich um. Er sitzt dabei in der Mitte des Vierecks. Weil er seinen Stuhl dreht, wendet er uns nie den Rücken zu. Die Bühne kreist um ihn, die Lampe kreist um die Bühne, und die drei Übriggebliebenen, die ihn in den Tod getrieben haben, rennen wie wild und doch machtlos gegen die Drehbewegung an. Das ist dann wieder ein eindrückliches Schlussbild.

■ wieder am 7. und 29. September in der Schaubühne