WÜHLEN IN FREMDEN PLATTENSAMMLUNGEN, VEGETARISCHES GANSESSEN UND OBDACHLOSE HANDY-EXPERTEN
: Tic Tacs auf herausgestreckte Zungen plumpsen lassen

JENNI ZYLKA

Die einzige Party, auf der ich für mein Leben gern gewesen sein würde, ist die, von der später Marilyn Monroe Truman Capote erzählte, Eroll Flynn habe dort mit seinem Schwanz „You are my sunshine, my only sunshine“ auf dem Klavier gespielt. Um ehrlich zu sein, würde es mir schon reichen, wenn Marilyn MIR diese Geschichte weitergetratscht hätte. Oder Truman. Oder wenn ich genau wüsste, wie viel Eroll vom Refrain des Liedes geschafft hat – wirklich alle vier Zeilen? Das waren noch Partys.

Aber wer beschwert sich? Ich doch nicht. Ich war schließlich Freitag selbst auf so einer Eroll-Flynn-Party, also fast, nur ohne Eroll Flynn. Die Gastgeber forderten die Gäste dafür auf, Platten auszusuchen, weil sie „aus ihrer Sammlung einfach nichts mehr herauskriegen“, und es macht großen Spaß, in fremden Plattensammlungen herumzuwühlen, das ist ähnlich wie mit den fremden Kühlschränken, in denen sogar der eigentlich lahme Gouda irgendwie leckerer aussieht als im eigenen. Ich trug mit „Get a grip on yourself“ von den Stranglers zum Wohlbefinden bei, danach mit der ersten Status-Quo-Platte „Picturesque Matchstickable Messages from the Status Quo“, die man nicht mit dem ganzen späteren albernen Quo-Zeug verwechseln darf, sie hat nichts mit Hard-Rock-Zöpfen und Gitarren-Posen zu tun, sondern ist derart psychedelisch, dass ich schnell noch ein paar Tic Tacs auf herausgestreckte Zungen plumpsen ließ. Schließlich zählen Wille und Autosuggestion. Zudem bekam ich richtig Lust, mal wieder Shirts zu batiken.

Am nächsten Tag war die Anwandlung weg, und die angenehme nachweihnachtliche Leere der Stadt hatte mich voll im Griff. Wir gingen zum Gansessen nach Charlottenburg, und ich bestellte das vegetarische Menü, weil ich immer an die Geschichte denken musste, in der ein Ehepaar im Oktober eine Gans kauft, um sie bis Heiligabend noch tüchtig zu mästen. Die Gans sitzt meistens bei der Frau in der Küche und man schnattert. Am 24. Dezember fährt der Mann mit der Gans auf dem Gepäckträger los, um sie vom Nachbarn schlachten zu lassen. Die Frau wundert sich, dass er so lange braucht, erst abends kommt er zurück, die Gans sitzt immer noch fröhlich auf dem Gepäckträger. „Der Nachbar war nicht da, darum sind wir etwas herumgefahren“, sagt der Mann, und die Frau behauptet, dass der Gansgeschmack das feine Knödelaroma ohnehin nur stören würde. Meine Restaurantbegleitungen wollten die Geschichte nicht zu Ende hören, auch vom Gänsekind Martina und dessen Fixierung auf Professor Lorenz sollte ich schweigen. Ein Glück haben Hardcore-Frutarier noch keine Sammlung mit Anekdoten über weinende Weinranken herausgebracht, denen die gewaltsam abgepflückten Pinot-Noir- und Chardonney-Trauben schmerzhaft fehlen, sonst hätte ich wirklich überhaupt gar keinen Spaß mehr am Leben.

Später lernte ich in der U-Bahn einen netten Obdachlosen mit schmutziger Plastiktüte, lückenhaftem Gebiss und vier Zentimeter langen schwarzen Nägeln kennen und geriet mit ihm in ein höchst aufschlussreiches Gespräch über Handy-Betriebssysteme. Er entpuppte sich als Fachmann und wusste genau, welche der neuen Fairphone-Downloads man sich noch nicht runterladen sollte. Er selber benutze das erste Handy, mit dem man unter Wasser telefonieren könne, sagte er, und ich verkniff mir eine unangebrachte Bemerkung zum Thema Baden und gab ihm stattdessen einen Tipp für den schnellen Weg zu seiner Lieblings-Notunterkunft, zu der er wollte. Wahrscheinlich fand dort gerade ein Sysadmin-Treffen statt, auf dem er einen Vortrag halten musste.