Der Untergeher

Medienkritik von Thomas Bernhard will bei YouTube niemand sehen. Das Internet würde er trotzdem lieben

Es gibt Listen bei YouTube, in denen man sehen kann, welche neuen Videos oft angeklickt wurden. Eher abgeschlagen: Mitte August hochgeladene Passagen aus zwei der seltenen Interviews mit dem österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard.

Doch das macht die vor Jahrzehnten geführten 3sat-Interviews nicht weniger sehenswert. Bernhard springt darin von der Relevanz des Wortes zum Rundfunk und weiter zur Notwendigkeit einer Revolution. „Die ganze Welt erstickt ja fast im Geist“, sagt er. „Das wird erst was wert, wenn es zum Wort wird. Aber eher zum gesprochenen. Nur das lebt. Das Wort, das auf dem Papier steht, ist ja auch längst tot, das ist im Grund auch nichts wert. Aber nur das können sie verkaufen, weil die Welt betrogen sein will.“ Und er fährt fort, kommt in Fahrt: „Und der Rundfunk bestimmt den Wert eines Autors, indem er ein Honorar einsetzt. Ich weiß es nicht, pro Wort 20 Groschen oder was. Aber würden Sie sagen, dass jedes Wort, das ich jetzt sage, nur 20 Groschen wert ist? Das glauben Sie selbst nicht. Und das kann man den Leuten nicht beibringen, dass das mehr wert ist … Die gehören alle geköpft.“

Zwischenfrage: „Wer?“

Bernhard: „Na ja, alle diese Unternehmungen, die gehören kopflos gemacht, wirklich, das wäre eine Revolution, eine echte. Das hat mir so imponiert in Portugal, wie die Revolution war, die zweite, wie s’ den Spinola verhaftet haben, da sind um vier Uhr früh alle Direktoren verhaftet worden im ganzen Land. Das war eine geniale Idee.“

Einen Klick entfernt spricht Bernhard über die Zeitung: „Je scheußlicher eine Zeitung ist, desto mehr Gewinn ziehe ich daraus“, sagt er, „also je primitiver. Ich hab nichts von einem seitenlangen Vortrag vom Herrn Popper, der von A bis Z ein Geschwätz ist, aber ich hab sehr viel davon, wenn da steht, die Bäuerin Hintermaier in der Steiermark ist Amok laufend aus dem Haus, hat ihre vier Kinder umgebracht und das fünfte ertränkt. Das ist doch viel gewaltiger.“

Ganz oben in der Liste der meist gesehenen YouTube-Neuzugänge standen zuletzt „Big Boobs and you“, der 1.200.000-fach angeklickte Monolog eines Trottels, der Frauen auffordert, keine Fotos an seine groß eingeblendete E-Mail-Adresse zu schicken; gefolgt vom Video eines David-Beckham-Freistoßtors und dem „Total Body Toning Cardio Workout“. Bedauerlich, dass Thomas Bernhard das Internet nicht mehr erleben durfte. RAA

„Thomas Bernhard über den Wert des Wortes + Revolution“: www.youtube.com/watch?v=2RWa-Cb4QUA „Thomas Bernhard – Krista Fleischmann 1979 Über Zeitungen“: www.youtube.com/watch?v=KlOFfkBLq_M&mode=related&search=