Hilfe überfordert Perus Behörden

Die Stimmung in den von dem schweren Erdbeben betroffenen Gebieten wird zunehmend aggressiv

PORTO ALEGRE taz ■ Vier Tage nach dem schweren Erdbeben in Peru wächst bei den Betroffenen die Verzweiflung. In San Clemente, zehn Kilometer östlich der nahezu völlig zerstörten Hafenstadt Pisco, ballt sich der Unmut: An einer notdürftig reparierten Brücke auf der Höhe von Kilometer 228 der Panamericana stürmen AnwohnerInnen fast jeden Lastwagen, der wegen der Risse im Asphalt abbremsen muss und Lebensmittel geladen hat. „Sie haben uns vergessen, die Hilfe erreicht nur wenige“, ruft Juliano Muñoz. „Wir haben nichts zu essen, kein Wasser, keinen Strom.“ 30.000 Menschen wohnen in San Clemente. Bis Samstag waren gerade 2.000 Decken und 126 Betten in dem ländlichen Außenbezirk von Pisco eingetroffen.

„Die aggressive Grundstimmung hier ist verständlich“, sagt Michael Jordan von der Diakonie Katastrophenhilfe der taz. „Der Durchbruch ist noch nicht geschafft.“ Das evangelische Hilfswerk nutzt seine langjährigen Kontakte zum Kleinbauernverband CNA, um in abgelegenen Gebieten Hilfsgüter zu verteilen. „Nachts ist es sehr kalt“, berichtete Jordan. Vorgestern Abend war er dabei, als im Dorf Cañete 120 Notunterkünfte und zwei Gemeinschaftsküchen eingerichtet wurden. „Für die Menschen hier ist es die erste warme Mahlzeit seit drei Tagen“.

Auch wenn Präsident Alan García und seine Minister, die sich in der Marinebasis von Pisco eingerichtet haben, viel guten Willen und Einsatz zeigen: Mit jedem Tag wird die Überforderung der peruanischen Behörden offensichtlicher. Bisher konzentrierte die Regierung ihre Anstrengungen auf die Luftbrücke, mit der über 500 Verletzte in die Krankenhäuser der Hauptstadt Lima gebracht wurden – die Krankenhäuser in Pisco und der Provinzhauptstadt Ica waren schon vor der Katastrophe schlecht ausgestattet.

Bei der Verteilung der Hilfsgüter aus dem In- und Ausland hapert es zudem an einer verlässlichen Datenbasis, berichteten Helfer. „Unser Hauptanliegen ist es, die Bedürftigsten zu erreichen“, sagte Susana Arroyo vom Internationalen Roten Kreuz. Unruhe stiften hunderte von ehemaligen Häftlingen, die nach dem Beben aus dem Gefängnis von Chincha Alta fliehen konnten, bewaffnete Überfälle häufen sich.

Bislang ist Alan García davor zurückgeschreckt, eine nächtliche Ausgangssperre zu verhängen, doch am Samstag kündigte er an, die Sicherheit „um jeden Preis“ garantieren zu wollen. Mittlerweile befinden sich 1.200 Soldaten und 2.000 Polizisten im Katastrophengebiet.

Für den Staatschef, dessen Popularität nach einem guten Jahr Regierungszeit von 60 auf 40 Prozent gesunken ist, werden Hilfe und Wiederaufbau zu einer besonderen Bewährungsprobe: In vergleichbaren Fällen habe sich das Verhalten der Behörden meist als die eigentliche Katastrophe erwiesen, warnte die Tageszeitung El Comercio.

In Cañete, Chincha und Ica wurde die Stromversorgung wenigstens teilweise wiederhergestellt. Provinzgouverneur Rómulo Triveño sagte, 45.000 Häuser seien zerstört und 253.000 Menschen obdachlos – über ein Drittel der Bevölkerung in der Region. Ica galt in den letzten Jahren als regelrechte Boomregion: Wüstenähnliche Landstriche wurden bewässert, auf denen vorwiegend für den Export bestimmte Zitrusfrüchte, Baumwolle, Weinreben, Avocados und Spargel gedeihen. Zehntausende aus den ärmeren Andenregionen zogen dorthin. Ihre Lehmhütten traf es am schlimmsten.

GERHARD DILGER