DER RÜCKBLICK AUF DAS ALTE JAHR BEREITET NICHT ALLEN FREUDE, EBENSOWENIG DAS BÖLLERN. ABER AUCH BEIM TISCHFEUERWERK KANN MAN SICH FÜR DAS UNBEKANNTE 2015 PARAT HALTEN
: Komm herein, du neues Jahr

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Auch dieses Jahr geht vermutlich zu Ende, ich will nicht zurückblicken, es lohnt sich nicht, oder es macht mir jedenfalls keinen Spaß. Ich will nicht ungerecht sein, aber ich habe wirklich nicht viel übrig für dieses Jahr. Ich hoffe auf Besseres im neuen, aber Hoffnung ist zwar wichtig und hilft kurzzeitig vielleicht auch, aber hat nicht so viel mit dem zu tun, wie es tatsächlich aussieht und was einem die Welt, wie sie jetzt schon ist, in Aussicht stellt.

In den letzten Wochen wurde die norddeutsche Landschaft im Regen ertränkt, die Tage waren grau, die Nächte waren grau, es lag so ein Trübsinn in der Gegend herum, die Bäche und Flüsse traten über, flächendeckend Hochwasser meldeten die schleswig-holsteinischen Ämter, die Straßen teilweise nicht mehr befahrbar, aber dann ging es wieder. Das ist der Lauf der Dinge. Irgendwann, auch nach Schlimmerem als ein bisschen Wasser, geht immer alles weiter.

Dann muss jetzt noch der Jahreswechsel, Bleigießen und Fondue, um Mitternacht dann Abba oder DJ Bobo im Fernsehen und am Brandenburger Tor, und als ich Kind war, damals auf dem Lande, da fuhr an Silvester immer der Krankenwagen vor, da kam immer wenigstens einer in die Notaufnahme, da wurde immer was verbrannt oder abgerissen, Böller in der Hosentasche, Böller im Gesicht, auf dem Kopf, im Pullover. Kommen Böller und adoleszente, männliche Menschen zusammen, dann ist das kaum zu verhindern. In Neumünster haben zwei Jungen, zehn und zwölf, sich schon letzten Freitag schlimm verletzt und in diesem Zusammenhang warnt die Polizei jetzt wieder vor den gefährlichen „Polenböllern“. „Polenböller“ kenne ich schon aus meiner Jugend, „Polenböller“ ballern doller, und deshalb sind sie auch besser, weil doller bei Böllern nun mal besser ist.

Mir, vielleicht weil ich noch nie ein Junge war, sind Böller eine Qual, aber ich will tolerant sein und will anerkennen, dass andere Menschen Freude daran haben, auch wenn es mir lieber wäre, wenn das Böllern auf Mitternacht und auf Silvester beschränkt bliebe.

Und noch lieber wäre es mir, wenn es lautlos vor sich ginge, aber das wäre wohl etwas viel verlangt. Ich könnte nach Amrum fahren oder Sylt, wo das Böllerzünden gleich ganz verboten wurde, und in St. Peter Ording wurde es auch verboten und in der Nähe von Reetdachhäusern, damit die Reetdachhäuser nicht abbrennen, was dennoch jedes Jahr an Silvester passiert. Aber vielleicht ist das in letzter Konsequenz auch das, was ein Heranwachsender oder nie erwachsen werdender Mensch sich eigentlich wünscht, dass einmal wirklich etwas Großes in die Luft geht, dass einmal wirklich etwas kaputt geht, etwas richtig knallt und brennt und sichtbar wird, für die Welt, nicht nur so ein kleines Feuerrad, nicht nur so ein kleiner Blumenreigen in der Luft, nein, eine riesige, große Reetdachfackel, dazu eine abgerissene Hand, ein echtes Geschrei, Blut und Sirenen, vielleicht ist es das, was der Feuerwerksmensch sich eigentlich wünscht, ein richtiges, echtes, großes Theater. Man weiß es nicht.

Ich will das Feuerwerken niemandem vermiesen. Ich zünde selbst ein Tischfeuerwerk. Ich lasse ein bisschen Konfetti fliegen, ein paar Papierkugeln, ein güldenes Kleeblatt und einen winzigen Schornsteinfeger. Selbst ich brauche ein bisschen Glitter und ein paar Papierschlangen. Auch wenn das alles armselig ist und den muffigen Geschmack des alten Jahres nicht vertreiben kann. Nichts kann den vertreiben. Aber was bleibt mir übrig, als ein bisschen zu tröten und das neue zu erwarten, wie es auch kommt und was es auch wird, wenn ich leben will und das will ich wohl? Also was soll’s, immer her damit, mit dem schrecklich schönen neuen Jahr. Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.