Senator urlaubt lieber

Die Sondersitzung des Wissenschaftsausschusses zum Talentstadt-Gutachten findet ohne Jörg Dräger statt. Weil er seinen früheren Arbeitgeber beauftragte, hatte die SPD seinen Rücktritt gefordert

Was früher in der Rhetorik der CDU die „Spitzenkräfte“ waren, heißt neuerdings „Talente“. Hamburg ist wirtschaftlich schon sehr erfolgreich. Um dies auch in Zukunft noch zu sein, will der Senat gezielt junge „Talente“ anwerben. Die Berger-Studie empfiehlt eine „zentrale Marketingplanung“, dazu gehörten auch die „Nutzung neuer ‚Bilderwelten‘“, die den „hohen Freizeitwert der Stadt“ und die „pulsierenden Szenen“ zeigen. „Potentialkräftige, junge Kreativ-Viertel“ sollen dafür identifiziert, gefördert und anschließend vermarktet werden. Um zudem Attraktivität bei „relevanten Talentgruppen“ wie potentiellen Unternehmensgründern zu erhöhen, soll Hamburg sich stärker als Technologiestandort positionieren, unter anderem durch „gezielte Vermarktung der technologischen Exzellenz im Cluster Luftfahrt“. KAJ

VON KAIJA KUTTER

Eigentlich sollte heute ab 17 Uhr Senator Jörg Dräger (parteilos) vor dem Wissenschaftsausschuss der Bürgerschaft erklären, unter welchen Umständen der Auftrag für das 239.400 Euro teure Gutachten „Talentstadt Hamburg“ an seinen früheren Arbeitgeber, der Unternehmensberatung Roland Berger, ging. Doch nun kommt er nicht. „Es werden dort nur verfahrensrechtliche Sachen durchexerziert werden. Rein juristisch“, sagt Drägers neuer Sprecher Janis Eitner. „Dafür bricht er seinen Urlaub nicht ab.“

„Das ist eine Frechheit“, empört sich die GAL-Hochschulpolitikerin Heike Opitz. „Und eine Fehleinschätzung dazu.“ Denn es ginge nicht nur um die Frage, ob der Senat bei der Vergabe eines so großen Auftrages ohne EU-weite öffentliche Ausschreibung juristisch korrekt gehandelt habe. Es ginge auch darum, zu klären, wie der promovierte Physiker Dräger „persönlich“ in die Auftragsvergabe verwickelt sei. Immerhin hatte bei Bekanntwerden der Vorwürfe vor drei Wochen der frühere CDU-Abgeordnete und Staatsrechtsprofessor Ulrich Karpen dem Senator vorgehalten, ein „Grundprinzip des Rechtsstaates“ missachtet zu haben. Jemand, der sich auch nur dem Anschein nach in einem Interessenkonflikt befände, dürfe sich nicht an einer solchen Entscheidung beteiligen. Der SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann legte Dräger den „Rücktritt“ nahe, weil „zentrale Fragen des politischen Anstands“ verletzt worden seien.

„Ich würde den Senator gern erst mal persönlich fragen, wie er an der Entscheidung mitgewirkt hat“, sagt GAL-Politikerin Opitz, die Anfang Juli mit einer Kleinen Anfrage den Stein ins Rollen brachte. Schon damals wurde deutlich, dass dem Senat die Sache unangenehm ist. Der Auftrag wurde „förmlich freihändig“ vergeben, was bis zu einer Obergrenze von 211.000 Euro erlaubt ist. Dafür wurden von sechs Firmen schriftlich Angebote angefordert, unter denen eines von Roland Berger war. In der Senatsantwort hieß es nun, Dräger habe an der Sitzung einer achtköpfigen Lenkungsgruppe, die einstimmig entschied, „teilgenommen“. Erst auf spätere Anfragen hin kam heraus, dass Dräger, der von 1996 bis 1998 bei Roland Berger Berater war, die Lenkungsgruppe leitet.

„Es gibt andere Senatoren, die da problembewusster sind“, sagt der SPD-Abgeordnete Wolfgang Marx. So habe Wirtschaftssenator Gunnar Uldall, der früher Geschäftsführer der Unternehmensberatung „Mummert & Partner“ tätig war, als erste Amtshandlung eine Dienstanweisung ausgegeben, ihn mit keinem Vorgang zu befassen, der diese Firma betrifft. Auch Marx beharrt auf eine Anhörung des Senators. „Wenn Dräger lieber auf Bornholm urlaubt, werden wir am 4. September eine weitere Sitzung anberaumen.“

Dennoch werde man den heutigen Termin, zu dem nun Wissenschafts-Staatsrat Roland Salchow und Senatskanzlei-Chef Volkmar Schön erwartet werden, zur Aufklärung nutzen. „Wir wollen wissen, was in dem Gutachten eigentlich drin steht“, sagt Marx. Zwar hatten Dräger und Bürgermeister Ole von Beust (CDU) am 19. Juli der Presse eine Zusammenfassung der Studie vorgestellt, für die immerhin 2.700 junge Studenten aus Deutschland, Russland, Polen und China nach ihren Standortvorlieben befragt und die „Talentstrategien“ von Kopenhagen, Amsterdam, Barcelona, Dublin, Wien und Berlin analysiert wurden. Doch: „Wir Abgeordneten kennen sie nicht“, sagt Marx.

Schließlich will die Opposition in der heutigen Sitzung auch noch die „Bewertung des Gutachtens durch den Senat“ erfragen. Was ein bisschen gemein ist. Hatte doch das Abendblatt Ende Juli von einem senatsinternen Gutachten berichtet, in dem die Talente-Studie als überflüssig verrissen wird. Der Städtevergleich sei „banal und zugleich irreführend“. Die spannende Frage, mit welchem Geschick und welcher Intensität sich Politiker in dieser Städten um den Aufbau eines leistungsfähigen Hochschulsystems bemühten, werde kaum thematisiert. Auch setze die Studie zu sehr auf reine Marketingmaßnahmen, die überflüssig würden, wenn die Hochschulen gute Bedingungen aufwiesen.

„Es gibt wohl einige Senatsmitglieder, die zu der Studie eine klare Meinung haben“, frotzelt Marx. Von den 239.400 Euro hätte man die Studiengebühr für die Kunsthochschule, die jetzt die Hälfte ihrer Talente exmatrikuliert, „bequem bezahlen können“.