Sierra Leone vor der Stichwahl

Starke Verluste für gespaltene Regierungspartei. Opposition jetzt siegessicher

BERLIN taz ■ In Sierra Leone wird es eine Stichwahl um das Präsidentenamt geben. Nach Auszählung von über 80 Prozent der Stimmen der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom 11. August lagen gestern sowohl der Regierungs- als auch der Oppositionskandidat weit unter der Marke von 55 Prozent, die für einen Sieg im ersten Wahlgang nötig wäre, und können diese rechnerisch nicht mehr erreichen. Da die Opposition deutlich führt, dürfte die Stichwahl spannend werden und den noch relativ jungen Frieden des einstigen Bürgerkriegslandes auf seine erste ernste Probe stellen.

Nach amtlichen Angaben liegt Ernest Bai Koroma von der oppositionellen APC (All People’s Congress) mit 44,3 Prozent der Stimmen vorn, gefolgt vom bisherigen Vizepräsidenten Solomon Berewa von der regierenden SLPP (Sierra Leone People’s Party) mit 38,0 Prozent. Aussagekräftige Parlamentswahlergebnisse liegen nicht vor, aber die APC reklamiert bereits die absolute Mehrheit für sich. Die letzten Wahlen 2002 hatte die SLPP mit über 70 Prozent gewonnen.

Die APC, die Sierra Leone vor Beginn des Bürgerkrieges 1992 diktatorisch regierte, hat ihre Hochburgen traditionell im Norden des Landes und hat diesmal auch die Hauptstadt Freetown erobert, wo sie bei 60 Prozent liegt. Die SLPP dominiert traditionell im an Liberia angrenzenden Süden und Osten des Landes, hat hier jetzt aber starke Einbußen zugunsten der SLPP-Abspaltung PMDC (People’s Movement for Democratic Change) erlitten, deren Führer Charles Margai bei 14,2 Prozent liegt und im Süddistrikt Bonthe führt.

Charles Margai wird damit zum Königsmacher bei der Stichwahl. Zeitungsberichten zufolge sagte er bei der Feier seines 62. Geburtstages am Sonntag zu, die APC-Opposition zu unterstützen. APC-Führer Koroma kam auch zum Geburtstagsfest. Mit rund 5,5 Millionen Einwohnern und einer sehr kleinen gebildeten Elite ist Sierra Leones Politik ziemlich familiär, und persönliche Zu- oder Abneigung zählt mehr als politische Programmatik.

Margai werden auch gute Beziehungen zu Sierra Leones früheren Bürgerkriegsarmeen nachgesagt. Er ist ein bekannter Jurist und hat vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal für Sierra Leone Angeklagte sowohl der einstigen Rebellen als auch einstiger regierungstreuer Milizen verteidigt. Von beiden Lagern sollen ihm jetzt Sympathisanten zugeflossen sein; ob darunter auch bewaffnete Elemente sind, die sich in einem zugespitzten Stichwahlkampf bemerkbar machen könnten, ist nun Objekt politischer Spekulation.

Die Wahl an sich verlief nach Meinung aller Beobachter ruhig und regulär, mit einer sehr hohen Beteiligung von über 75 Prozent. Ein Termin für eine Stichwahl steht noch nicht fest, sie dürfte aber im September stattfinden. DOMINIC JOHNSON