Die Großmut des Dirk Niebel

ORTSTERMIN Kann die Welt öko ernährt werden? Wie ein FDP-Minister und der oberste Bio-Lobbyist den Dialog versuchen – und scheitern

„Selbst wenn ich Ihre Thesen nicht teile, kämpfe ich als Liberaler dafür, dass Sie sie verbreiten können“

DIRK NIEBEL, FDP

AUS BERLIN JOST MAURIN

Hier fällt Entwicklungsminister Dirk Niebel auf: Im Publikum sitzen einige Vollbärte, ergraute Pferdeschwänze, ein Kind läuft durch die Reihen. Viele Lobbyisten der deutschen Biobauern sind ins Berliner Haus der Bundespressekonferenz gekommen. FDP-Politiker Niebel dagegen trägt einen dunkelblauen schnittigen Anzug. Stramm sitzt der stämmige Minister auf dem Podium, die Hände hat er verschränkt auf dem Tisch, sein Gesichtsausdruck ist neutral, kein Lächeln huscht über seine Lippen. So ist das, wenn man als Liberaler das Buch „Food Crash“ des obersten Lobbyisten der Bio-Branche, Felix zu Löwenstein, vorstellen soll.

Löwenstein vertritt die These, dass nur der ökologische Landbau ohne Pestizide und Kunstdünger langfristig alle Menschen ernähren kann. Sonst würde die Umwelt zusammenbrechen, wichtige Rohstoffvorräte wie Öl noch schneller zur Neige gehen. 100 Prozent Bio – das ist genau das Gegenteil dessen, was die FDP propagiert. Denn sie setzt sich vehement für die im Ökolandbau verbotene Gentechnik und eine „unternehmerische Landwirtschaft“ ein.

Dennoch hat Löwenstein, Chef des Bio-Brachenverbands BÖLW, zu seiner Buchvorstellung am vergangenen Donnerstag ausgerechnet Niebel eingeladen – diesen FDP-Politiker, der auf viele Linke so wirkt wie ein rotes Tuch auf einen Stier. Schon weil Niebel, der ehemalige Zeitsoldat, Dienstreisen in Afrika auch schon mal mit einer olivgrünen Bundeswehrmütze auf dem Kopf absolviert.

Niebel provoziert den politischen Gegner gern, und das tut er auch heute. „Der ökologische Landbau allein wird die Probleme des Welthungers nicht lösen können“, sagt er, kaum zwei Minuten nachdem er ans Rednerpult getreten ist. „Der ökologische Landbau ist im Moment noch oftmals zu teuer und teilweise auch zu ineffizient.“ Bis 2050 werde die Weltbevölkerung von sieben auf neun Milliarden wachsen. Wer all diese Menschen ernähren will, dürfe das „agroindustrielle System“ nicht „komplett verteufeln.“ Und: „Ich glaube, dass wir die grüne Gentechnik durchaus benötigen.“ Sie könnte zum Beispiel Pflanzen entwickeln, die weniger Dünger brauchen.

Wenigstens das gesteht er Löwenstein zu: „Selbst wenn ich ausdrücklich Ihre Thesen nicht teile, kämpfe ich dafür als Liberaler, dass Sie sie verbreiten können.“ „Sehr großzügig!“ sagt einer der Zuhörer.

Niebel klappt seine Manuskriptmappe mit dem Bundesadler auf der Vorderseite zu und setzt sich. Er atmet einmal tief durch – und lächelt .

Sein Gegenspieler Löwenstein ist wie der Minister hochgewachsen, aber hager, er trägt einen Schnauzbart und Brille. Der promovierte Agrarwissenschaftler bewirtschaftet ein Gut in Südhessen, einige Jahre war er Entwicklungshelfer in Haiti. 70 Prozent der rund eine Milliarde Hungernden weltweit seien Kleinbauern, erzählt Löwenstein. Wenn sie anders als im Ökolandbau erst teure Pestizide und Dünger kaufen müssten, müssten sie das meiste ihrer Ernte verkaufen und hungern. „So können sie keine Reserven aufbauen für schlechte Zeiten.“

Anders als Niebel versucht Löwenstein, seine Thesen auch mit konkreten Beispielen zu belegen: etwa mit dem der philippinischen Initiative „Masipag“, bei der Kleinbauern ökologische Anbaumethoden und traditionelles Saatgut weiterentwickeln. Sie schonten Umwelt und Ressourcen, sagt der Bio-Lobbyist. „Das Beispiel zeigt, das all das möglich ist und dass die Erträge noch gesteigert werden.“

Es gebe auch kein Gentechnikprodukt, das dazu beiträgt, mehr Lebensmittel zu erzeugen, ergänzt Löwenstein. Gentechpflanzen förderten aber umweltschädliche Agrarsysteme – etwa Monokulturen, bei denen jahrelang die gleiche Frucht auf demselben Feld angebaut wird.

Darauf geht Niebel nicht ein. Löwenstein rückt ebenfalls nicht ab von seiner Position. Biobauern und die FDP – sie passen einfach nicht zusammen.