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: Die Wetten der grauen Männer

Der Ruf der NBA-Schiedsrichter war noch nie gut. Der geständige Manipulateur Tim Donaghy beschuldigt nun Kollegen, dem Glücksspiel zu frönen

David Stern ist momentan wahrlich nicht zu beneiden. Dem kleinen bebrillten Chef der Basketball-Liga NBA stehen drei lange Monate Wartezeit bevor. Denn erst am 9. November wird an einem Gericht in Brooklyn, New York, das Urteil über Tim Donaghy gesprochen. Über jenen Donaghy, der mit seiner Wettleidenschaft seinem Arbeitgeber NBA den größten Skandal der Ligageschichte bescherte. Das unscheinbare Milchgesicht, 13 Jahre lang an der Pfeife, entpuppte sich als Wolf im Schafspelz mit gehöriger krimineller Energie. Spiele, bei denen er pfiff, soll er so beeinflusst haben, dass für ihn und zwei Mittäter satte Wettgewinne heraussprangen.

Vergangene Woche gestand der 40-Jährige: „Schuldig.“ Ihm droht bei einer Verurteilung wegen Betrugs und Handels mit wettrelevanten Informationen eine Haftstrafe von bis zu 25 Jahren. Zwar gab Donaghy zu, auf Spiele, an denen er selbst beteiligt war, gesetzt zu haben. Doch als Teil eines Deals mit der Staatsanwaltschaft wurde gegen ihn keine zusätzliche Anklage wegen Spielmanipulation erhoben. Die Justiz erhofft sich so Informationen über Donaghys zwei Geschäftspartner, die ihm für Informationen über Schiedsrichteransetzungen oder Spielerverletzungen – im Erfolgsfall – hohe Summen zahlten. Dabei fungierte einer der beiden als Mittelsmann zwischen Donaghy und dem anderen. Der schloss die Wetten ab. Beide Komplizen saßen in Untersuchungshaft, wurden gegen Kaution jedoch vorerst wieder entlassen.

So gespannt die Gerichtsbarkeit auf eventuelle Enthüllungen über Verbindungen zum organisierten Verbrechen ist, so unruhig wird NBA-Chef David Stern auf seinem Stuhl umherrutschen. Es geht um andere unliebsame Geschichten, die Donaghy zu erzählen hat. „Man muss seine Fantasie schon sehr bemühen, um zu denken, Donaghy habe keines seiner Spiele, auf die er Geld setzte, durch Pfiffe beeinflusst“, so Marty Burns von Sports Illustrated, sein Kollege Jon Wertheim ergänzt: „Ob wir herausfinden, welche Spiele es waren, hängt davon ab, wie wichtig es für die Ermittlungen ist. Ich denke, die NBA wird eigene Untersuchungen anstellen müssen.“

Die Liga-Verantwortlichen werden handeln müssen. Donaghy will nämlich kein Einzelfall sein. Laut eigener Aussage sollen bis zu 20 weitere Liga-Schiedsrichter in der Vergangenheit dem (allerdings legalen) Glücksspiel gefrönt haben. Verträge zwischen Refs und Liga beinhalten jedoch ein eindeutiges Wett- und Glücksspielverbot, auch Casinobesuche sind während der Spielzeit untersagt, Verstöße sind ein Kündigungsgrund. Donaghy zufolge soll das aber für viele kein Hindernis gewesen sein. Insider sehen diese Äußerung als Ablenkungsmanöver. Stellten sich die Anschuldigungen jedoch als wahr heraus, wäre eine berufliche Zukunft der Beschuldigten bei der NBA mehr als fraglich.

Mit dem Urteilsspruch am 9. November erwartet also die NBA auch Details über die Freizeitaktivitäten der Männer in Grau. „Dieser Vorfall ist einzigartig, und unsere Leute sind von höchster Glaubwürdigkeit und charakterlicher Stärke“, betont Lamell McMorris, Chef der NBA-Schiedsrichtervereinigung, in den letzten Tagen gebetsmühlenartig. Ohnehin ist das Ansehen der Pfeifenmänner bei Spielern wie Fans eher verbesserungswürdig. An wirkliche Integrität glauben wenige. „Es wurde schon immer angenommen, die Schiedsrichter hätten eine wenig professionelle Einstellung“, bestätigt Basketball-Reporter Wertheim und ergänzt mit fast bitterer Ironie: „Wären sie als wirklich unantastbar angesehen worden – die Anschuldigungen hätten geschockt. Aber das war ja nicht der Fall.“ DAVID-EMANUEL DIGILI