Ein Festtag für politische Intrigen

ITALIEN Die Neuwahl eines Präsidenten ist eine politische Herausforderung für die Regierungskoalition. Und eine einmalige Chance für hinterhältige Strippenzieher

Bei der letzten Wahl scheiterten die Kandidaten zweimal an den eigenen Gefolgsleuten

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano geht. Der 89-Jährige nutzte die traditionelle Neujahrsansprache am Silvesterabend, um gleich in den ersten Minuten kundzutun, er werde binnen Kurzem seinen Rücktritt erklären, da er „die Zeichen der Anstrengung nicht mehr unterbewerten“ könne.

Niemand in Rom ist über diese Erklärung wirklich überrascht, denn der seit 2006 amtierende und erst im April 2013 wiedergewählte Staatspräsident Giorgio Napolitano macht schon seit Monaten kein Geheimnis aus seiner Amtsmüdigkeit. Es gilt als wahrscheinlich, dass der formelle Rücktritt nun binnen zwei Wochen erfolgt. Dies hieße, dass die beiden Kammern des italienischen Parlaments und die 58 Vertreter der Regionen voraussichtlich Anfang Februar zusammentreten, um Napolitanos Nachfolger zu küren.

Diese Wahl wird automatisch auch zur entscheidenden Bewährungsprobe für den seit nunmehr zehn Monaten amtierenden Ministerpräsidenten Matteo Renzi werden. Traditionell gilt in Italien, dass die in geheimer Abstimmung erfolgende Präsidentenwahl eine einzigartige Gelegenheit darstellt, um politische Rechnungen zu begleichen, um auch parteiinterne Intrigen zu spinnen, um Favoriten zu stürzen und mit ihnen zusammen womöglich auch gleich die Regierung zu Fall zu bringen.

So wurde der Wahlgang vor knapp zwei Jahren zum Desaster für den damaligen Chef der gemäßigt linken Partito Democratico, Pierluigi Bersani. Bersani, schon stark geschwächt durch das sehr bescheidene Resultat der PD bei den Parlamentswahlen, schickte als Präsidentschaftskandidaten zunächst den Linkskatholiken Franco Marini ins Rennen; der aber wurde von starken Truppen aus den eigenen PD-Fraktionen, unter anderem von den Gefolgsleuten Matteo Renzis, abgeschossen. Daraufhin wählte Bersani als neuen Kandidaten den ehemaligen Regierungschef und Ex-EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi. Zum Schock für die PD wurde dessen Resultat: 101 Parlamentarier aus den eigenen Reihen verweigerten Prodi die Gefolgschaft. Am Ende blieb als Notlösung nur die Wiederwahl Napolitanos, um eine schwere Parlamentskrise zu vermeiden.

Bersani reichte daraufhin seinen Rücktritt als Parteichef ein und machte den Weg frei für den Aufstieg Renzis erst zum PD-Vorsitzenden, dann zum Ministerpräsidenten. Der Jungstar der italienischen Politik nutzte seine Chance, um sich als Erneuerer zu inszenieren. Anfang Dezember brachte er die Arbeitsmarktreform per Vertrauensabstimmung durchs Parlament, und gegenwärtig treibt er sowohl die Wahlrechts- als auch die Verfassungsreform voran.

Sein Problem allerdings ist, dass die Reformen auf tiefe Abneigung beim linken Flügel seiner eigenen Partei stoßen. Der könnte die Wahl des Staatspräsidenten nutzen, um mit Renzi abzurechnen. Denn klare Mehrheiten im Parlament gibt es nicht. Die PD allein kommt nur auf 460 Abgeordnete und Senatoren; bis zu 100 von ihnen gelten als Renzi-Gegner. Die Fraktionen von Beppe Grillos Movimento5Stelle zählen gut 140 Mitglieder, ein Kompromiss mit ihnen gilt jedoch als so gut wie ausgeschlossen. Deshalb sucht der Ministerpräsident die Absprache auch mit Silvio Berlusconis Forza Italia und mit der rechten, fremdenfeindlichen Lega Nord.

Renzi selbst gibt sich optimistisch. Er steuere auf eine Lösung zu, bei der er 750 der 1.000 Wahlmänner und -frauen im Boot habe, hatte er schon vor Weihnachten verkündet. Und er traf sich zu einem zweistündigen Gespräch mit Romano Prodi. Auch der hatte auf dem Papier vor zwei Jahren eine klare Mehrheit, bevor er gnadenlos abserviert wurde. Vielleicht wollte Renzi ja aus Vorsicht nähere Details erfahren.

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