LESERINNENBRIEFE
:

Wahlmodus statt Glaubwürdigkeit

■ betr.: „Muschi, wat haste jewählt?“, taz vom 27. 12. 14

SPD Generalsekretärin Yasmin Fahimi glaubt offensichtlich, dass ihre Partei ein gutes und glaubwürdiges Programm vorlegt. Ein Programm, welches die Wähler nur zu gerne wählen würden, wenn es da bloß nicht diesen überholten und komplizierten Wahlmodus gäbe. Frau Fahimi ist überzeugt davon, dass man den Wählern eine Wahlwoche zur Verfügung stellen sollte. Kein festgelegtes Wahllokal soll es geben, nein, der Wähler soll nicht nur die freie Wahl der richtigen Regierungspartei, er soll zudem wählen können, wo er dieses tut. Das Ganze kann bis zu einer Woche durchgezogen werden.

Gut, Frau Fahimi glaubt selbst nicht daran, mit derlei Modellen die Politikverdrossenen mobilisieren zu können, wohl aber die Bequemen. Das ist die neue Zielgruppe. Wir bieten den Bequemen mehr Bequemlichkeit, wir stellen ihnen die Wahlurne vor die Wohnungstür, eine Woche lang und hoffen, dass der Weg bis vor die Tür nicht zu weit ist, um über die Geschicke des Landes mitbestimmen zu dürfen. Wo bleibt die ehrliche Politik, besser, wo ist die eigentlich geblieben?

Ist es nicht vielmehr so, dass man den ganzen Versprechen, die es vor einer Wahl gibt, keinerlei Glauben mehr schenkt? Ist es nicht das halb korrupte lobbyistenhörige Verhalten der Politiker und ihrer Parteien, das einem die Lust zur Wahl verhagelt hat? Wieso haben denn immer wieder Protestparteien so einen Zulauf? Bestimmt nicht wegen ihres allzu tollen zukunftsfördernden Wahlprogramms. Das, was die Menschen wirklich bewegt, das, weswegen die Bürger auf die Straße gehen, egal ob an einem Sonntag oder Montag, egal, ob es regnet und stürmt – das ist das, was in die Wahlprogramme gehört. Eine klare Aussage, wie die Partei mit diesen Themen umzugehen gedenkt, und zwar eindeutig.

Ein Abwarten, bis sich alle wieder beruhigt haben, ein Abwarten, bis sich ein Problem von alleine geklärt hat, hat uns jahrelang eine Regierung Kohl und jetzt die Regierung Merkel vorgelebt und somit die Verdrossenheit gebracht. Genauso das Mitmachen der SPD-Obersten, die mehr an sich als an ihre Wähler gedacht haben. Diese verlorenen Jahre wischt man nicht mit einer Wahlwoche weg. Selbst wenn demnächst noch die Idee eines integrierten Gewinnspiels die Attraktivität des Wählens erhöhen soll. Nur mit dem Weg zu offener und ehrlicher Politik, die einem durchaus mal weh tun kann, kann man langfristig Wähler mobilisieren, zur Wahl zu gehen. Andernfalls schafft man immer mehr Raum für ewig gestrige Parolen und immer tieferen braunen Sumpf. FRITHJOF SIERING, Ehra-Lessien

Zwei Arten von Nichtwählern

■ betr.: „Muschi, wat haste jewählt?“, taz vom 27. 12. 14

Es gibt wohl zwei Arten von Nichtwählern. Auf der einen Seite diejenigen, die sich durchaus für Politik und das gesellschaftliche Leben interessieren, jedoch nicht wählen, etwa, weil sie finden, dass sich die Parteien eh kaum noch voneinander unterscheiden, ihre Wahlbeteiligung also ohne Bedeutung bliebe, und es gibt auf der anderen Seite die, die an Politik völlig desinteressiert sind. Diese zweite Gruppe hat keine Meinung, weiß eigentlich gar nicht, worum es geht, und bleibt deshalb der Wahl konsequenterweise fern.

Beide Gruppen sind mit „Wahlerleichterungstricks“ nicht zu erreichen. Zur zweiten Gruppe gehören auffällig viele junge Wahlberechtigte. Ist diesen jüngeren Generationen in ihrer Kindheit möglicherweise ein Übermaß an Verwöhnung zuteilgeworden, sodass sie hauptsächlich auf sich und auf ihre möglichst direkte Bedürfnisbefriedigung fixiert sind? Sollte man sie in dem Fall nun weiterverwöhnen durch Wahlerleichterungen? Oder ist es nicht eher so, dass eine Wahlteilnahme ihnen, aus ihrer Sicht, ja zunächst keinen persönlichen Vorteil bringt und sie Politik einfach langweilig finden? Diesen Fragen nachzugehen, wäre unter Umständen sinnvoller als eine Reform des Wahlverfahrens ins Auge zu fassen.WERNER ARNING, Mörfelden-Walldorf

Ein Reförmchen

■ betr.: „Wahlrecht. Seehofer gibt’s nicht bei Lidl“, taz v. 29. 12. 14

Auch das noch! Pünktlich zu Feiertag und Jahreswechsel fand sich ein Kampfthema, hinter dem sich eine soziale, vor allem eine demokratische und überhaupt eine Volkspartei versammeln können muss, so dachte sich das Frau Fahimi. Eine Wahlreform, das wär’s doch. Das wär es wirklich, dachte ich und war gespannt wie ein Flitzebogen ob des Inhalts. Und nun das! Keine Reform, stattdessen ein Reförmchen.

Kann der Bundesbürger zu Entscheidungen seiner, angeblich, gewählten Vertreter, der Regierung oder dem Bezirksparlament schnell und konsequent Stellung nehmen und zum Beispiel Nein sagen? Das kann er im Moment nicht. Deshalb die Frage: Ist unser jetziges Wahlrecht überhaupt demokratisch und vor allem bürgernah und auf der Höhe des Jahrhunderts?

Ein Beispiel: Wer, von aller Berliner Bevölkerung, hat denn unsern alten Wowi oder unsern neuen Müller gewählt? Die Bezeichnung „unser“ ist dabei recht weit hergeholt. Dabei heißt der Job doch Bürgermeister. Bürgermeister und nicht Parteimeister. Sollten nicht alle Bürgermeister und -meisterinnen, in Stadt und Bezirk, dem jeweiligen Stimmpotenzial der jeweiligen Bevölkerung unterworfen sein? Also demokratisch gewählt sein? Die Parteien schlagen Persönlichkeiten vor und diese bewerben sich nicht nur in ihren Parteien für das Amt, sondern auch bei den Wählern. Das beträfe genauso die Wahl des Bundeskanzlers oder der Kanzlerin. Ist eigentlich ganz einfach. Nach dieser Reform könnten dann endlich eine Bildungsreform, eine Pflegereform, eine Kassenreform, eine Steuerreform, eine Diätenreform, eine Mietreform etc. pp. folgen. Packen wir’s an?VOLKER HEROLD, Berlin