die taz vor zehn jahren über die repression gegen journalisten in weissrussland
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Wieder einmal ist es dem weißrussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko gelungen, den großen Bruder in Moskau vorzuführen. Zwar wurden die festgenommenen Journalisten des russischen Fernsehsenders ORT gnädigerweise wieder auf freien Fuß gesetzt, dafür aber auch sofort nach Hause abgeschoben. Damit die Medienvertreter gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen und an Rückkehr denken, kündigte das Außenministerium gleich noch die Schließung des ORT-Büros in Minsk an. Der paranoide Diktator mag es eben nicht, wenn ihm jemand in die Jubelparade fährt. Und schon gar nicht mag er Journalisten, die sich erdreisten, an der Landesgrenze herumzuschnüffeln.

Die Reaktion Lukaschenkos hat einmal mehr gezeigt, wohin die Reise in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Staat geht. Solange sich noch kritische Stimmen erheben, gilt es, diese zum Schweigen zu bringen – systematisch, Schritt für Schritt, mit Schlagstöcken, Knast, Gewalt und Schikanen. Vor diesem Hintergrund wirkt es hilflos, ja schon peinlich, wenn der Sprecher des Kreml, Sergej Jastrschembski, anläßlich der Festnahmen Ultimaten formuliert und „düstere Perspektiven“ für die Union beider Staaten prognostiziert. Denn die slawische Ehe, die vor drei Monaten in stark verwässerter Form besiegelt wurde, ist kein durchdachtes, tragfähiges Integrationskonzept. Sie bietet keine Möglichkeit, Rechtssätzen, wie der im Unionsvertrag festgeschriebenen Pressefreiheit, zur Durchsetzung zu verhelfen. Kurz: Die Union ist Makulatur. Deshalb ist es Augenwischerei, mit der Union zu drohen.

Klar ist, daß sich an der menschenverachtenden Praxis in Weißrußland vorerst nichts ändern wird, zumindest nicht unter Lukaschenko. Und lange dürfte es auch nicht dauern, bis die nächsten Journalisten und Oppositionellen in weißrussische Gefängnisse wandern. Mit einem Bein stehen sie sowieso schon drin.

Barbara Oertel taz vom 23. 8. 1997