Kein Krieg mehr seit 70 Jahren!

Nicht jedes Gedenkjahr verheißt Festtagsstimmung. Nachdem die Berlinerinnen und Berliner 2014 fündundzwanzig Jahre Mauerfall zelebriert – und sich damit auch ein wenig selbst gefeiert – hatten, wird es nun wieder ernst. Auf dem Programm steht der siebzigste Jahrestag des Kriegsendes – und damit auch die Frage, wie sich die Erinnerung an ein Ereignis inszenieren lässt, das in der Vergangenheit viele Kontroversen ausgelöst hat. Dem Narrativ der Kapitulation, des „Umbruchs“ und der „Stunde null“ folgte 1985 Richard von Weizsäckers beherzte Rede vom 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung“, bis in den vergangenen Jahren die Erinnerung an Flucht und Vertreibung die Deutschen auch zu Opfern werden ließ.

„Unser Arbeitstitel heißt Frühling in Berlin“, sagt Moritz van Dülmen, der Geschäftsführer der landeseigenen Kulturprojekte GmbH, die auch die „Lichtgrenze“ organisiert hatte, mit der vergangenes Jahr der Mauerfall illuminiert worden war. Auf ein Großereignis will Dülmen in diesem Jahr verzichten. „Wir setzen eher auf bestimmte Orte, an denen wir dann erzählen, wie der Alltag in Berlin vor und nach dem Kriegsende war.“ Hinzu kommen zwei Geschichtsrouten, die die Kulturprojekte mit dem Verein Unterwelten entwickelt haben. Van Dülmen will die ganze Bandbreite der Emotionen ansprechen: „Nach dem Kriegsende haben sich die Leute erst mal gefreut. Aber dann kamen die versteckten Juden, und alle mussten wieder zueinander finden.“ Eine explosive Mischung, die zuletzt Christian Petzold in seinem September 2014 erschienenen Film „Phoenix“ thematisiert hat.

Der Zeitraum, in dem die Kulturprojekte an 70 Jahre Kriegsende erinnern, wird vom 16. April, dem Beginn des Kampfes um Berlin, bis zum 1. Juli, dem Einzug der Westalliierten, reichen. Sehr viel früher setzt dagegen die Ausstellung „Deutschland 1945. Die letzten Kriegsmonate“ an, die bereits jetzt in der Stiftung Topographie des Terrors zu sehen ist. „Der Zeitraum, den wir thematisieren, reicht von den Kriegsweihnachten 1944 bis zum Kriegsende“, sagt Kuratorin Claudia Steur. Damit will sich die Ausstellung auch von den Opfererzählungen aus dem Bombenkrieg fernhalten. „Ende 1944 war absehbar, dass der Krieg verloren war. Eine Kapitulation zu diesem Zeitpunkt hätte Millionen Menschen das Leben gerettet“, sagt Steur. Die Ausstellung setzt bewusst auf Widersprüche. So stehen sich auf einer Tafel Karl Hanke und Rudolf Petershagen entgegen. Ersterer erklärte Breslau zur Festung und hinterließ nach der Kapitulation der Stadt am 6. Mai 1945 eine Trümmerwüste. Letzterer übergab als Stadtkommandant Greifswald der Roten Armee und ersparte der Stadt die Zerstörung.

Den Blick über Berlin hinaus richtet auch das Deutsche Historische Museum. In seiner Ausstellung „Niederlage. Befreiung. Neuanfang“ geht es um das Jahr 1945 in zwölf europäischen Ländern. In der Schau von April bis Oktober wird es um Fragen der politischen Umwälzungen, Kriegstraumata und die Debatten über Täter und Opfer gehen. UWE RADA