Tauflisten und andere Quellen

GENTRIFIZIERUNG BEIM NAMEN

Kaum mehr Puffs in Kreuzberg – dafür inzwischen aber 110 Psychotherapeuten

Es soll ja noch Menschen geben, die den Sturm, der derzeit über die Innenstadtquartiere wirbelt, zum lauen Lüftchen erklären wollen, dem höchstens ein paar Alteingesessene zum Opfer fallen, die ohnehin längst nach Hellersdorf ziehen wollten. Hübsch wäre es, wenn es eine Verdrängungsstatistik gäbe, die aufzeigt, was die Gentrifizierung tatsächlich hinterlässt. Leider gibt es die nicht, weshalb pünktlich zur Weihnachtszeit andere Quellen herangezogen werden – und dies mit beachtlicher Resonanz.

Den Anfang machte einen Tag vor Heiligabend der Stadtsoziologe Andrej Holm mit seinem „Gentrificationblog“. Holm veröffentlichte eine bei Facebook gepostete Taufliste einer Kirchengemeinde in Berlin Mitte, die sich seiner Meinung nach las, „als würden viele der Getauften aus besserem Hause kommen. Oder zumindest aus Elternhäusern, die großen Wert auf wohlklingende Namen legten“. Tatsächlich wimmelte es in der Liste nur so von Viktor Paul Theodors, Ada Mai Helenes, Rufus Oliver Friedrichs oder Freya Luise Apollonias. Einige sogar mit einem „von“ vor dem Nachnamen.

Nun sagt eine Taufliste mit 29 Namen statistisch wenig über den Bevölkerungsaustausch von ganzen Quartieren, wohl birgt sie aber einiges Erregungspotenzial. Etwas weniger marktschreierisch sind da die Gedanken, die kurz vor Silvester die Berliner Zeitung auftischte. Eine Reporterin hat darin festgestellt, dass es in Kreuzberg kaum mehr Puffs, dafür inzwischen aber 110 Psychotherapeuten gebe. Weil auch das wenig aussagt, verzichtete die Autorin vorsichtshalber auf eine Wertung auf der nach oben offenen Gentrifizierungsskala.

Dennoch sind die weichen Daten nicht mehr wegzudenken von der „gefühlten Vertreibung“. Unlängst meinte ein Freund, dass Friedrichshain von der Gentrifizierung bislang verschont geblieben sei. Seine These: „In Friedrichshain gibt es so viele Tätowierte wie in keinem anderen Innenstadtbezirk.“ UWE RADA