Die Gans, die aus der Fremde kam

Live lässt sich derzeit der Siegeszug der aus Afrika stammenden Nilgans beobachten, die in den Niederlanden ausgewildert wurde und von dort den Kontinent erobert. Doch die Begeisterung hält sich in Grenzen, handelt es sich doch um eine Zugereiste

Eine Schneise der Verwüstung soll sie hinterlassen, ganze Äcker leer fressen und neuerdings in einer solch „massierten Vielzahl“ auftreten, dass den Jägern im Jagdgebiet Lingen an der Ems nur eine Lösung einfällt: Abknallen. Das, so wissen auch ihre Jagdgenossen der Landesjägerschaft Niedersachsen, würde, wenn es erlaubt wäre, dem großen Ganzen nützen. Schließlich vertreibe die besagte Gänseart „mit ihrem intoleranten Verhalten heimische Wasservögel von ihren angestammten Brutplätzen“. Heimische Wasservögel! Vertrieben von einer Fremden! Denn die Nilgans, Alopochen aegyptiacus, stammt, wie der Name schon sagt, aus Afrika, wo sie eine der am häufigsten vorkommenden Arten ist. Jetzt macht sie sich, von Menschenhand ausgewildert, auch in Europa breit, erobert einen Lebensraum nach dem anderen, anscheinend durch nichts und niemand aufzuhalten.

Unter den gefiederten Neozoen – den Neutieren – mache sie dank ihrer großen Anpassungsfähigkeit „die größten Arealgewinne“, bestätigt der Zoologe Olaf Geiter vom Wilhelmshavener Institut für Vogelforschung. Geiter leitet dort die Beringungszentrale und ist einer der wenigen in Deutschland, der weiß, wovon er redet, wenn er über die Nilgans spricht. Denn obwohl es Tausende von Hobby-Ornithologen hierzulande gibt, die ihre Freizeit damit verbringen, Vögel zu zählen, haben die wenigsten die Nilgans auf dem Schirm. „Die Neozoen werden meistens ignoriert“, sagt Geiter, eben weil sie vermeintlich nicht hierhergehören.

Der Nilgans sind solche Fragen herzlich egal, sie zieht einfach weiter und brütet, wo Platz ist: am Boden, in Storchennestern, auf Dächern, in verlassenen Greifvogelhorsten. „Die ist nicht wählerisch“, sagt Geiter. Ob es allerdings stimmt, dass dort, wo „Nilgänse ihre Jungen aufziehen“, sich keine Ente mehr hinwagt, wie die Lingener Jäger behaupten, bezweifelt er. Nach seinen Beobachtungen kommen dort, wo Nilgänse sich dazugesellt haben, die anderen Arten noch genauso vor, wie zu nilgansfreien Zeiten.

Das hohe Agressionspotential, dass die Tiere während der Brutzeit mitbringen sollen, hat er bei einigen Exemplaren feststellen können, bei anderen nicht. Dass Nilgänse gelegentlich auch mal ein Teichhuhn töten, findet er nicht bemerkenswert, denn „das machen Höckerschwäne auch“. Viel mehr ließe sich zu den Gänsen derzeit nicht sagen, sagt Geiter, denn systematisch untersucht würde ihre Ausbreitung nicht. Leider, sagt der Zoologe. „Wann hat man denn sonst die Chance, live die Ausbreitung einer Art im mitteleuropäischen Raum zu verfolgen?“

Große Populationen gibt es bereits jetzt in den Niederlanden, wo sie laut Olaf Geiter Ende der sechziger Jahre ausgewildert wurde. Und während sie in Nordrhein-Westfalen allgegenwärtig sein soll, fällt in Norddeutschland ein einzelnes Paar immer noch auf. „Was ist denn das für ein komischer Vogel“, wird etwa ein Bremer Naturschutzwart regelmäßig von Spaziergängern gefragt. „Das sind bloß Nilgänse“, kommt es zurück. Man gewöhnt sich an alles.EIKEN BRUHN