„Der Wind hat sich gedreht“

Umfragen geben ihr nur vier Prozent, doch die niedersächsische Linkspartei gibt sich zuversichtlich. Die Links-Politiker Janine Hamilton und Patrick Humke über neue Kompetenzen und alte Antipathien

JANINE HAMILTON, 28, studiert in Hannover Germanistik und Religionswissenschaft und war Landesvorsitzende der Jungsozialisten. PATRICK HUMKE, 38, ist Gründungsmitglied der PDS in Niedersachsen. Er ist Ratsherr in Göttingen und derzeit als Landeswahlkampfleiter angestellt.

INTERVIEW: REIMAR PAUL

taz: Frau Hamilton, Sie sind Anfang Juni in die Linkspartei eingetreten. Warum gerade zu diesem Zeitpunkt?

Janine Hamilton: Die Frage müsste besser lauten: Warum erst jetzt? In der SPD läuft ja schon länger einiges schief. Stichworte sind Steuerpolitik, Hartz IV, Kriegseinsätze. Ich selbst muss mich fragen, wie ich so lange in der SPD bleiben konnte. Nun gibt es mit der Linken eine Alternative.

Sollte der Übertritt kurz vor der Vereinigung von Linkspartei/PDS und WASG auch ein Signal sein?

Hamilton: Wir wollten beim neuen Parteitag schon mitwirken. Wir wollten von Anfang an dabei sein, wir wollten von Anfang an mitgestalten.

Was erwarten Sie für sich in der Linken?

Hamilton: Ich möchte inhaltlich arbeiten, vor allem in der Bildungspolitik. Bildung schafft die Grundlagen für weitergehendes politisches Engagement.

Herr Humke, Sie waren von Beginn an Mitglied der PDS. Damals galten Sie als Exot und gemeingefährlich. Was hat sich seitdem geändert?

Humke: Es gab in der Anfangszeit viele Anfeindungen durch die anderen Parteien und die Kollegen im Göttinger Rat. Ich wurde geschnitten, gemieden, teilweise niedergeschrien. Später wurden wir mit unseren Positionen aber zunehmend akzeptiert. Wir haben es SPD und Grünen oft schwer gemacht, gegen bestimmte Initiativen von uns zu stimmen, bei Sozial- und Gewerkschaftsthemen zum Beispiel.

Und heute?

Humke: In der jüngsten Zeit hat sich der Wind wieder gedreht. Wegen unserer wachsenden Akzeptanz und weil wir die klassische Wählerklientel der SPD ansprechen, begegnet uns die SPD wieder mit mehr Misstrauen. Das macht eine Zusammenarbeit derzeit kompliziert. Wir schneiden in jeder Umfrage besser ab, das kann der SPD natürlich nicht recht sein.

Wie ist die Akzeptanz durch die Bevölkerung?

Humke: Auf der Straße und bei Veranstaltungen hat sich in den vergangenen drei, vier Jahren sehr viel geändert. Auf Kundgebungen und Demos werden wir unser Material massenhaft los. Wir haben auch viele Neueintritte.

Wie viele denn?

Nach dem „Vereinigungsparteitag“ am 16. Juni gab es einen Schub, wir hatten seitdem rund 300 Neueintritte, das macht einen Zuwachs von rund zehn Prozent aus. Und der Trend geht weiter.

Die reine Mitgliedschaft sagt noch nichts über politische Aktivität aus. Gibt es bei Ihnen weniger Karteileichen als in anderen Parteien?

Humke: Ja, bei uns sind mehr Mitglieder bereit, aktiv mitzuarbeiten. Das reicht von einem Wahlkampfeinsatz bis zur dauerhaften inhaltlichen Mitarbeit.

Woher kommen die neuen Mitglieder?

Humke: Zwischen 2005 und Anfang 2007 sind sehr viele Hartz-IV-Empfänger eingetreten. Seit dem 16. Juni sind es auch viele Studenten und Leute mit niedrigen und mittleren Einkommen, das kann man aus den Beiträgen schließen.

Die Linke wird zumindest im Westen weitgehend mit Sozial- und Friedenspolitik in Verbindung gebracht. Welche Themen wollen Sie außerdem besetzen?

„Der Einzug in den Landtag wäre übrigens auch die einzige Chance, eine linke Mehrheit gegen Wulff hinzukriegen“

Humke: Uns werden bislang nur in bestimmten Bereichen Kompetenzen zugetraut. Im Wahlkampf in Niedersachsen wollen wir drei Kernthemen in den Mittelpunkt stellen: Arbeit und soziale Gerechtigkeit, Bildungspolitik und das Thema Reprivatisierung/Rekommunalisierung. Für die Zukunft ist Ökologie ein ganz wichtiges Thema. Wir müssen vermitteln, dass Umwelt- und Sozialpolitik zusammenhängen. Die Umweltthemen trauen uns die Leute noch nicht zu, weil sie das immer noch den Grünen zuordnen. Da müssen wir Strategien entwickeln.

Welche denn?

Hamilton: Man muss die Leute mitnehmen und aufklären. Es geht hier nicht gerecht zu, es hat hier nicht jeder dieselben Chancen, es kann hier nicht jeder studieren. Die Menschen sind der Meinung, dass wir in einem gerechten und demokratischen Land leben. Dass hier einiges überhaupt nicht gerecht ist, dass müssen wir klarmachen.

Der Niedersachsen-Wahlkampf ist angelaufen. Umfragen sehen die Linke bei vier Prozent. Wie ist Ihre Prognose?

Hamilton: Wir kommen natürlich in den Landtag. Wir machen ein alternatives Politik-Angebot, die Mitglieder sind engagiert, da kann das eigentlich nur klappen. Die anderen Parteien werden versuchen, die Linke kleinzureden. Aber viele Leute werden das durchschauen und uns wählen.

Und dann? Fundamentalopposition?

Hamilton: Fundamentalpolitik! Ich will nicht darüber diskutieren, ob man sich prinzipiell an Regierungen beteiligt oder nicht. Mir ist es wichtig, dass wir die Inhalte rüberbringen, die gilt es umzusetzen, und wie wir das machen, ist mir erst einmal egal. Wenn wir das in Kooperation mit anderen Parteien machen, ist es gut, wenn es nur gegen sie geht, ist es auch gut.

Humke: Ich gehe auch davon aus, dass wir in den Landtag kommen. Die Prognosen lagen für uns immer unterhalb der späteren Ergebnisse. Wir sind in der Lage, einen flächendeckenden Wahlkampf zu führen. Wir sind auch personell gut aufgestellt. Der Einzug in den Landtag wäre übrigens auch die einzige Chance, eine linke Mehrheit gegen Wulff hinzukriegen. Da wäre die SPD unter Druck, entweder in eine große Koalition mit der CDU zu gehen oder eine Minderheitsregierung mit den Grünen zu bilden und dabei linke Inhalte umzusetzen.