press-schlag
: Wellen in Wembley

„Das war schon eine Überraschung.“ Nein, Nationalspieler Philipp Lahm meinte nicht den Sieg der deutschen gegen die englischen Fußballer. Er sprach von den deutschen Fans. Denn die haben irgendwie auch gewonnen an diesem Mittwochabend. „Die waren sehr laut“, sagte Lahm, „sensationell.“ Das neue Wembley-Stadion mit seinen 90.000 knallroten Sitzen war alles andere als ein angelsächsischer Hexenkessel. Kaum lag England zurück, wurden die englischen Fans ganz leise und hörten sich die gegnerischen Anhänger an. „Hurra, hurra, die Deutschen, die sind da!“ Während die Gäste die fußballerische Eroberung Englands feierten, als stünde es 4:0, saßen die Engländer bedröppelt auf ihren Sitzen. Sie schienen verzweifelt. Früher war man auf der Insel der Meinung, die Deutschen gewinnen zwar immer, Fußball spielen können sie deshalb aber noch lange nicht. Am Mittwoch mussten sie feststellen, dass diese Deutschen auch erfolgreich sind, wenn sie mit einer Mannschaft auflaufen, in der bis auf David Odonkor jeder ein scharfes Zuspiel gekonnt annehmen kann. Und dann sind auch noch die deutschen Fans in Hochform.

Im vergangenen Jahr haben die Deutschen der Welt gezeigt, wie sie sein können, wenn sie zeigen wollen, dass sie anders sind, als man überall in der Welt glaubt. Bundeskanzlerin Angela Merkel, längst als Deutschlands First Fan etabliert und am Mittwoch in London zugegen, wies vor dem Anpfiff noch einmal darauf hin, dass die Fußball-WM im vergangenen Jahr gezeigt habe, dass die Deutschen „fröhlich sein können, auch lachen können und in einer schönen Weise stolz auf ihr Land sein können“.

Dass es nicht immer lustig ausgeht, wenn Deutsche feiern, davon wollte am Tag der Machtübernahme der deutschen Fans in London keiner reden. Denn die haben es den Engländern so richtig gezeigt – und das auch noch friedlich. Sie haben deutlich gemacht, dass sie ausdauerndere, lautere, bessere Fans sind als die, die überall auf der Welt für die ausdauerndsten, besten und lautesten gehalten werden. Deutschland beansprucht die Führungsrolle auf den Rängen.

Und was singen beziehungsweise brüllen die Deutschen, wenn ihnen das ewige „Sieg!“-Geschrei“ und die anhaltenden „Deutschlaand, Deutschlaand, Deutschlaand, Deutschlaand“-Gesänge nicht mehr reichen? Die Nationalhymne.

Einigkeit und Recht und Freiheit, Herz, Hand, Glück und Unterpfand. Geht’s noch doller? Schallwellen schwappten durchs Stadion, die die Engländer sprachlos in die Sitze drückten. Am Ende wurde in der deutschen Kurve noch das bewährte „Oh, wie ist das schön!“ angestimmt. Doch da waren die meisten Engländer schon auf dem Heimweg. Sie haben vor den Wenn-wir-wollen-sind-wir-gut-drauf-Deutschen kapituliert.

ANDREAS RÜTTENAUER