Du sollst dich nicht gehen lassen

In Hamburg tanzen Jugendliche, die eigentlich gerade ihren Hauptschulabschluss nachholen, mit dem bekannten britischen Choreographen Royston Maldoom. Das Projekt „Can do can dance“ soll im Oktober die Kampnagel-Besucher überzeugen

Nicht jede Bewegung mutet professionell an – trotzdem sind die Gäste bei der Probe von der Choreographie angetan.

Von Karin Christmann

Im oberen Saal der Tanzschule riecht es ein wenig muffig, eine Spur von Schweiß hängt in der Luft über dem mitgenommenen Parkettfußboden. Es ist der Geruch einer Tanzprobe. Zusammen mit dem Choreographen Royston Maldoom arbeiten 18 Tänzer an einer Choreographie, lassen sich einander an die Hüften fallen, tragen sich gegenseitig durch den Raum. Einige sind pummelig, andere schlaksig. Nicht jede Bewegung ist spannungsvoll und mutet professionell an – und trotzdem sind die Gäste, die die Probe besuchen dürfen, von der Tanzvorführung angetan.

Die 18 sind Laientänzer. Jugendliche, die eigentlich gerade ihren Hauptschulabschluss nachholen. Am 25. Oktober werden sie als Künstler auf Kampnagel auftreten, wenn dort das Tanzprojekt „Can do can dance“ Premiere feiert. Die Idee hinter „Can do can dance“ nennt sich „Community Dance“. Sie wurde in Deutschland schlagartig bekannt, als im Herbst 2004 der Dokumentarfilm „Rhythm is it!“ in die Kinos kam. Er zeigt, wie Royston Maldoom mit 250 Kindern und Jugendlichen eine Choreographie zu „Le Sacre du Printemps“, der Ballettmusik von Igor Strawinsky, einstudierte. Viele Kinder stammten aus sozialen Brennpunkten, hatten noch nie ein klassisches Konzert besucht – und tanzten nun eine künstlerisch ambitionierte Choreographie, begleitet von den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle.

Der Brite Maldoom konnte in diesem Jahr zum zweiten Mal nach 2006 für das Hamburger Community Dance-Projekt „Can do can dance“ gewonnen werden. „Dance can give a voice to the voiceless“ – Tanz gibt jenen eine Stimme, die keine haben – sagt Maldoom über Community Dance. „Ich möchte den Menschen vermitteln, dass sie eine Leistung erbringen können, für die sie respektiert werden, dass sie aus ihrer Opferhaltung herauskommen.“ Bei „Can do can dance“ tanzen in diesem Jahr außer den jungen Männern ohne Schulabschluss auch Behinderte und langzeitarbeitslose Frauen. Maldooms Kolleginnen Janice Parker und Tamara McLorg arbeiten mit ihnen – ab Montag ist eine Woche Zeit, um aus der Arbeit der drei Gruppen eine gemeinsame Aufführung zu formen. Bis Oktober gibt es dann nur noch Zwischen- und Wiederaufnahmeproben.

Im Probensaal der jungen Männer dringt die Stimme der polnischen Sängerin Zofia Kilanowicz aus den Lautsprechern. Sie singt den Sopran-Solopart in der dritten Sinfonie von Henryk Górecki. Der zeitgenössische Komponist hat in seinem Werk Gebetstexte aus dem 15. Jahrhundert und Wandinschriften aus einer Gestapo-Zelle vertont. Die Choreographie thematisiert die Spannungen, denen Menschen angesichts des Krieges ausgesetzt sind. Bei der Aufführung, verrät Maldooms Assistent Andree Wenzel, werden die Tänzer Militärhosen und olive Armee-Shirts tragen.

Maldoom strahlt Freundlichkeit aus, aber er fordert von seinen Tanzschülern auch Disziplin und Fleiß. „Du musst üben, üben, üben, es ist alles falsch“, sagt er zu einem Tänzer, der immer wieder seinen linken mit dem rechten Fuß verwechselt und sich in die falsche Richtung dreht. Still konzentrieren sich die Jugendlichen, wenn es darauf ankommt, eine schnelle Drehfigur zu üben oder eine Schrittfolge zu lernen. Nur gelegentlich stört einer die Gruppe, indem er ungefragt eine Pause einlegt oder ein Privatgespräch anzettelt. „Du kannst dich nicht gehen lassen, sonst würde das Stück kaputtgehen“ – so erklärt Nikolay Angelow, einer der Tänzer, die gemeinsame Arbeit.

Dass bis zu den Aufführungen noch am Feinschliff gearbeitet werden muss, ist zu sehen. Aber schon jetzt ist auch die künstlerische Qualität des Projektes zu erkennen. Dass die Gruppe in den Proben so gut vorangekommen ist, liegt auch daran, dass an der Choreographie nicht mehr gefeilt werden musste: Maldoom habe sie schon einmal in England mit Strafgefangenen als Tänzern auf die Bühne gebracht, erzählt sein Assistent Wenzel. Natürlich müssten bei der tänzerischen Technik Abstriche gemacht werden, sagt er. Wenzel möchte die Kunst in die Gesellschaft tragen, doch er sieht sich nicht als Pädagoge. „Wir behandeln die Leute als Künstler“, sagt er – und so möchte er sie auch behandelt wissen, wenn sich der Premierenvorhang hebt.

„Can do can dance“ hat am 25.10. Premiere auf Kampnagel und wird außerdem vom 26. bis 30. Oktober, immer um 20 Uhr, aufgeführt. Karten gibt es ab dem 3. September unter ☎ 040 27 09 49 49, sie kosten 22 oder 17, ermäßigt 10 Euro.