Der falsche Glanz von München

Wer war Rudolph Moshammer? Die „Moshammeroper“ in der Neuköllner Oper beantwortet diese Frage nicht. Doch Komponist Bruno Nelissen macht dieses Manko mit seinem kammermusikalischen Oratorium mehr als wett

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Die Karl-Marx-Straße von Neukölln liegt Lichtjahre von jenem München entfernt, in dem eine Figur wie Rudolph Moshammer möglich war. Ein König wie der Ludwig von Neuschwanstein wollte er sein, ganz München liebte ihn dafür und lachte darüber, weil er ja keiner war, nicht einmal ein richtiger Schneider, bei Licht besehen, aber in München macht das nichts. Moshammer war ein grandioser Angeber mit Herz, sein Leben ein einziges Theater bis zum Ende, als er (wahrscheinlich) einem Lustmord zum Opfer fiel. Undenkbar ist das alles im Neukölln der Rütlischulen und Ehrenmorde, aber hier hat Regisseur Robert Lehmeier, der selbst aus München kommt, dieses imaginäre Leben eines Boulevardhelden auf die Bühne gebracht – als Oper.

„Moshammeroper“ jedenfalls heißt das Stück, das den Neuköllner Opernpreis des letzten Jahres gewonnen hat. War es eine Oper, dieses Leben? Nein, allein schon die Distanz Neuköllns zu München verhindert diesen Fehlschluss, der nur nahe liegend ist, wenn man nicht weiß, was das Wort „Oper“ bedeutet. Opern verlangen nach universalen Stoffen, Moshammer war ein durch und durch lokales Unikat. Romanautor Ralph Hammerthaler hat dieses Leben in elf kurze Szenen verdichtet, in denen ein verängstigter Tagträumer über seine eigenen Fantasien stolpert. „Ludwig“ heißt er hier, wie sein Traumkönig. Gesungen wird er von Hubert Wild, der trotz Moshammer-Toupet nie den exaltierten Partylöwen zeigt, sondern nur das unglückliche Kind, das einsam nach Liebe bettelt. Zwei Symbolfiguren seiner Sehnsüchte, „Engel“ und „Bengel“ genannt (Regine Gebhardt, Markus Vollberg), stehen ihm zur Seite, sie sind je nach Bedarf (gute) Mutter, (böser) Vater, Bettlerin, Stricher und Mörder. Die Gesellschaft, an der dieses Kind scheitern muss, weil es alles für sie geben will, wird vertreten von einer Klatschreporterin und einer jener Frauen, die es zu ihrem Beruf gemacht haben, Partys zu geben. Leigh Adoff und Friederike Harmsen sorgen mit ihrem bösartig-virtuosen Schnattergesang für komische Höhepunkte. Wenn die Blondinen loslegen, kann man sich selbst in Neukölln vorstellen, wie das Leben in München sein mag – schrecklich, man mag die Karl-Marx-Straße danach richtig gerne.

Glücklicherweise ist auch der Komponist Bruno Nelissen keinen Augenblick der Versuchung erlegen, den falschen Glanz der Moshammerwelt in glanzvoll falsche Töne zu übersetzen. Seine Komposition ist ein überaus sorgfältig ausbalanciertes kammermusikalisches Oratorium. Ein Streichquartett und eine Trompete reichen ihm als Orchester aus, die fünf Musiker und der Dirigent sitzen im Zentrum des Saales. Sie allein sind es, die Hammerthalers dramaturgisch nur lose miteinander verknüpften Textfragmenten Halt geben. Das tut diesen gut, denn was ihnen an Dramatik und psychologischer Plausibilität fehlt, macht Nelissen wett mit frei ausschwingenden, deklamatorischen Gesangsstimmen, die sparsam, aber reizvoll kontrapunktisch unterstützt werden von den wenigen Instrumenten.

Der gesellschaftliche Lärm um die Kultfigur Moshammers bleibt draußen, nur zwischen die Szenen über Lautsprecher eingespielte Geräusche elektrischer Gitarren erinnern daran. Es sind Kunstpausen, nach denen die Außenansicht der Figuren wieder nach innen gewendet wird in die kammermusikalische Konzentration. Am besten gelingt dieses Konzept, wenn Moshammer und sein Mörder im Stil barocker Arien mit obligatem Soloinstrument Auskunft über ihr Innenleben geben. Viel solides Handwerk steckt in dieser Arbeit, trotzdem lassen sich die Schwächen nicht übersehen. Sie liegen im Textbuch. Wer dieser Rudolph Moshammer war, bleibt ein Rätsel. Hammerthalers Schlaglichter zeigen es nicht, denn sie spiegeln nur wider, was wir ohnehin aus den Medien wissen. Wollte dieser Mann wirklich so sein, wie sie ihn sahen, verrückt, exaltiert, sentimental, wohltätig und dabei umgetrieben von seiner Homosexualität, die er öffentlich nie zugab? Und wenn es so war, warum kam es dazu? Auch der Regisseur kann darauf keine Antwort geben. Wohl zu Recht lässt er den goldenen Vorhang des Himmelbetts über die Schlussszene fallen. Moshammer bittet darum, beim Sex erdrosselt zu werden. Wir hören nur die beiden Männerstimmen, die von einem prachtvoll katholisch klingenden Chor der Frauen grundiert sind. Die Drastik eines sichtbaren Lustmordes hätte dem zurückhaltenden, abstrahierenden Gestus der Musik widersprochen, der auch im Finale erhalten bleibt. Wer Moshammer war, kann man sich in Neukölln nicht vorstellen. Trotzdem verdienter Applaus in der Premiere.

Wieder am 25., 26., 30. und 31. 8. Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131–133