Coca-Cola in der DDR: Spittelmarkt
Jedes Mal, wenn ich am Spittelmarkt vorbeikomme, verweile ich einen Moment am „Spitteleck“. Ich schaue hoch zu dem Coca-Cola-Schriftzug, der rot wie ein Sowjetstern auf einem der Hochhäuser aus Plattenteil-Fertigelementen leuchtet, die 1986 mit dem „Architekturpreis der Hauptstadt Berlin“ ausgezeichnet wurden. Plastischer könnte der Sieg des Kapitalismus über den Sozialismus nicht sein.
Als die Mauer noch stand, war ich öfter in dem Hochhaus im Windschatten des Westens. Mein guatemaltekischer Spanischlehrer war mit einer Repräsentantin des Arbeiter-und-Bauern-Staates verbandelt, die dort wohnte und deren Vater ein hohes Tier bei der Nationalen Volksarmee war und es niemals erlaubt hätte, dass sie was mit einem Ausländer hat. Deshalb mussten die Treffen geheim bleiben. Es gab einen speziellen Klingelcode, um zu verhindern, dass der Vater die Tochter und den Klassenfeind in flagranti erwischte.
In der „Altberliner Bierecke“ im Erdgeschoss scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Einladend war der Laden schon damals nicht. Aber wahrscheinlich ist es schwer, sich am Spittelmarkt zu etablieren. Benannt ist er nach einem Spital, das vor vielen Jahrhunderten errichtet wurde. Heute markieren die Werbung für das koffeinhaltige Erfrischungsgetränk und der Knick in der Straße den Ort, an dem das Gertraudentor der Berliner Stadtmauer und das St.-Gertrauden-Stift für adlige Jungfrauen standen. Später wurde es ein Quarantäne-Quartier für Wanderer und Handwerksburschen und noch später ein Siechenhaus für mittellose, gebrechliche und kranke Bürger. Damit ist nicht die DDR gemeint. Die kam noch später. Das Fertigteilhochhaus versperrt heute wie damals den Blick auf das dahinterliegende Axel-Springer-Hochhaus. Dorthin würde das weithin sichtbare Symbol für den westlichen Lebensstil viel besser passen.BARBARA BOLLWAHN
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