„Krieg mit dem eigenen Körper“

ESSSTÖRUNG II Haben wir verlernt zu essen? Sylvia Baeck von der Beratungsstelle Dick und Dünn e. V. über falsche Schönheitsideale und emotionalen Hunger

■ ist Mitgründerin des Vereins und zurzeit stellvertretende Projektleitung von Dick & Dünn e. V. Zu Baecks Aufgaben gehört die Arbeit mit Eltern und Angehörigen. Der Verein besteht seit 1985. www.dick-und-duenn-berlin.de

INTERVIEW JANA T. WÖRRLE

taz: Frau Baeck, die Deutschen werden immer dicker. Haben wir verlernt, normal zu essen?

Sylvia Baeck: Ja, das haben wir. Viele Menschen werden deshalb immer dicker, andere immer dünner. Es sind die Extreme, die zunehmen, die große Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und die Beschäftigung mit dem Essen.

Was haben die Schlagzeilen von dicken Deutschen mit Essstörungen zu tun?

Eine Essstörung geht immer mit psychischen Problemen einher; ich nenne es immer einen „Krieg mit dem eigenen Körper“. Ob man starkes Übergewicht hat, starkes Untergewicht oder eine Ess-Brech-Sucht, die Auslöser sind meist dieselben. Dahinter steckt fast immer ein falsches Schönheitsideal, das einem die Werbeindustrie vermittelt, fehlendes Selbstbewusstsein und eine große Unzufriedenheit. Dann beginnt meist ein Kreislauf von Diäten, der die einen resignieren lässt. Andere fixieren sich so sehr auf Verbote, dass sie immer weniger essen.

Welche Rolle spielt dabei die ständige Verfügbarkeit von Essen? Fördert das die Essstörungen?

Es ist nicht nur die Verfügbarkeit von Essen, sondern auch das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit gepaart mit Werbeaussagen. Werbung für Unterwäsche mit superschlanken Models neben der Imbissbude – es sind Doppelbotschaften: „So sollst Du aussehen und hier ist die Currywurst!“ Da wird gleichzeitig für Essen geworben und demjenigen, der es kauft, ein schlechtes Gewissen eingeredet. Ein normaler Umgang mit Essen wird da schwierig. Gleichzeitig wird dicken Menschen eingeredet, dass es heute ja so einfach ist, schlank zu sein. Schönheits-OPs sind keine Tabus mehr und die industriellen Interessen dahinter stark.

Welche Funktion erfüllt das Essen neben der Sättigung?

Wer eine Essstörung hat, hat meist kein richtiges körperliches Hungergefühl oder Gefühl von Sattheit mehr. Das Essen hat dann eine andere Rolle. Man kann auch emotionalen Hunger haben oder eben sich dann besonders gut fühlen, wenn man die exakte Kontrolle über das eigene Essen hat.

Ein neues Gesetz der Bundesregierung soll für mehr Aufklärung über das normale Essverhalten sorgen. Wie muss Prävention aussehen?

Es geht darum, wieder zu lernen, dass ein normales Essverhalten nicht strikt nach Regeln ausgerichtet ist. Wir sollten wieder lernen, das zu essen, worauf man Appetit hat und was einem bekommt. Das kann an einem Tag mehr sein als an einem anderen. Oft fehlen eine richtige Esskultur – regelmäßige Mahlzeiten, die in Ruhe und in Gemeinschaft eingenommen werden. Prävention ist, das zu thematisieren; genauso wie falsche Vorbilder in der Werbung.