Es geht voran

BESETZT taz und AL waren die Parasiten am Arsch der „Häuserbewegung“. Die feiert dieser Tage ihr 30-jähriges Jubiläum

Ein alter Kämpfer, der im Knast gewesen war, will ein Fass aufmachen. Der Genosse spricht gerne und gut

VON DETLEF KUHLBRODT

Mit einer „Woche der Widerspenstigen“ wird derzeit der „Häuserbewegung“ gedacht, die vor dreißig Jahren in Westberlin ihren Höhepunkt erlebte. 1981 waren über 150 Häuser besetzt. Selbst in Zehlendorf. „Die Heerschar von Spekulanten wurde kollektiv zurückgeschlagen“ (Flyer). Tausende BesetzerInnen machten Initiativen. Die AL und prominente Hauspaten wie Günter Grass waren auch dabei. Am Rande der „Häuserbewegung“ gab es Krawalldemos, die wie die Loveparade später viele junge Menschen aus „Wessiland“ dazu brachten, nach Berlin zu ziehen. Etwa die Hälfte der Häuser wurden später legalisiert, die Nichtverhandler geräumt. Nach 89 gab es zum Nachtisch einen langen Sommer der Anarchie im Ostteil der Stadt, der mit der Räumung der Mainzer Straße im November 1990 endete.

Mit der „Woche der Widerspenstigen“, die am Freitag losging, versucht man herauszufinden, was von der „Häuserbewegung“ übrig geblieben ist. Die alten Häuser gilt es zu schützen; eine Brücke zwischen damals und heute soll geschlagen werden. In den letzten Jahren hat die Gentrifizierung bekanntlich nicht geschlafen. Selbst die CDU, die damals auf Plakaten dafür kritisiert worden war, dass sie statt „Wohnungspolitik“ den „Bürgerkrieg“ plane, findet das nicht so gut. Der Traum vom selbstbestimmten Leben im Kollektiv besetzter Häuser ist wegen der herrschenden Verhältnisse kaum zu verwirklichen, auch weil die besetzungstauglichen Häuser rar gesät sind. Seit Jahren fällt einem immer nur die „Schlesi 25“ ein.

Nicht weit davon entfernt, in der Lausitzer Straße, liegt die „Regenbogenfabrik“, die vor 30 Jahren besetzt worden war. Vier Leute von damals sind auch noch dabei. Dazu gehört ein Hostel, in dem nette Touristen mit einer „Peace“-Fahne begrüßt werden. Im Veranstaltungsraum sitzt man bequem auf alten Sofas. Auf der Leinwand wird der 1981 gedrehte Hausbesetzerklassiker des Novemberkollektivs „Schade, dass Beton nicht brennt“ gezeigt.

In dem Film werden Neubauwohnungen denunziert, weil sie seriell und klein sind. Handwerklich begabte und tierliebe, junge Leute besetzen ein Haus und freunden sich mit alten Leuten an, die gern Schabernack machen. In rosa Latzhosen versucht man sich am selbstbestimmtem Leben und daran, eine Infrastruktur für Besetzer mit Materiallagern usw. zu schaffen. Immer wieder sieht man Abrissbirnen auf wehrlose Häuser einhauen und Demonstrationen junger Aktivisten, die rufen: „Eins, zwei, drei – lasst die Leute frei!“ Manches wirkt peinlich, wenn sich etwa 30 Leute an den Händen halten und vor Polizisten provozierend herumhüpfen oder wenn es in Agitationsliedern über Polizisten heißt: Eure Herzen sind kalt. Es geht darum, nicht nur zu „ackern“, sondern auch ein bisschen zu leben. Genossen, die „eingefahren“ sind, spielen auch eine Rolle. Das Kreuzberg, von dem der Film berichtet, wirkt ganz schön lange her und sehr deutsch. Ein Türke, der auch in dem Haus wohnt, hat keinen Eigennamen, sondern wird nur „der Türke“ genannt.

Die völlige Eskalation

Am nächsten Tag treffe ich auf dem Straßenfest in der „Reiche“ eine Bekannte, die neulich beim Versuch, die „Schlesi 25“ zu besetzen, dabei war. Mieter-Inis informieren. Es gibt Essen. Am Rande stehen drei junge Männer mit einem Schild „Free Hugs“. Niemand umarmt sie. Drei türkische Jungs machen sich über sie lustig. Dann erbarmt sich eine Frau. Einerseits wirkt alles ein bisschen bieder, andererseits ist das Nebeneinander sehr vielfältig und schön. Man sieht türkische Kinder mit CDU- und SPD-Ballons. Auf dem T-Shirt eines Mannes steht: „Vegan Anarchists – don’t forget to smash the state!“ Am Rande steht Jan Stöß, der Bürgermeisterkandidat der SPD, er wirkt sehr sympathisch!

Später am Abend zeigt der Dokumentarist Gerhard Schumacher in der Galerie ZeitZone in der Adalbertstraße Super-8-Filme von damals. Zehn Leute sind gekommen. Vor allem gibt es mit Rockmusik untermalte Straßenschlachten. Dann die furchtbare Szene des Todes von Klaus-Jürgen Rattay am 22. 9. 1981. Man sieht, wie der 18-jährige Hausbesetzer am Rande einer Demo in der Potsdamer Straße von einem Bus zu Tode geschleift wird. Schumacher sagt, es sei fast ein Wunder, dass nicht noch schlimmere Sachen passiert sind und dass Rattays Tod die Gemüter auf beiden Seiten beruhigt hätte.

Sonntagnachmittag bin ich im Hof eines ehedem besetzten Hauses am Fraenkelufer. Alles sieht so angenehm aus, dass man gleich neidisch ist. Im Hof sind Demoschlachtenbilder, aber auch Innenansichten ausgestellt. Leute sitzen im Kreis und sollen was erzählen. Gut gelaunt will ein alter Kämpfer, der auch im Knast gewesen war, ein Fass aufmachen. Es geht um Verhandler, Nichtverhandler und „Verräterschweine“. Dass Hausbesetzen cool war, bis die Hippies kamen, dass taz und AL die „Parasiten am Arsch der Bewegung“ gewesen wären; dass „wir“ doch weit mehr gewollt hätten als Freiraum. Aufrechten Militanten ging es um die „völlige Eskalation“, sagt er. Und bei Streiks ist es wichtig zu checken, wo die Streikbrecher sind, die müssen unter Druck gesetzt werden. Der Genosse sprach gerne und gut. Viele junge Leute waren nicht dabei.

Abends im Mehringhof erzählt eine 44-jährige Frau, ihr sei damals vom Jugendamt empfohlen worden, in ein besetztes Haus zu gehen. Sie sagt, dass das „auch Missbrauch“ gewesen war, „wie wir damals durch die Betten hüpften“.

Die Selbstverständlichkeit, mit der immer noch von „Repression“, „Widerstand“, „Bewegung“, „Rebellion“, „linksradikal“, „Veränderung“ und „Bullen“ gesprochen wird, befremdet. Und seltsam ist, dass die Pausengespräche danach so entspannt und normal sind.

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