ERIC BONSE ÜBER EU-REAKTIONEN ZUM DROHENDEN GREXIT-SZENARIO
: Merkels kaltes Europa

Eines seiner letzten Werke widmete der kürzlich verstorbene Soziologe Ulrich Beck dem „deutschen Europa“. Deutschland sei zur beherrschenden Führungsmacht aufgestiegen. Kanzlerin Angela Merkel kritisierte er für ihren Schlingerkurs in der Eurokrise.

Die neue Griechenland-Debatte zeigt, wie recht der Vordenker hatte. Wieder bestimmt die deutsche Haltung die europäische Diskussion. Wieder fällt Merkel durch ihren Schlingerkurs unangenehm auf. Ein Wort von ihr würde genügen, um das „Grexit“-Gespenst zu vertreiben. Aber es fällt nicht. Stattdessen: Neue Rausschmiss-Drohungen von Elmar Brok, dem Merkel-Flüsterer aus dem Europaparlament. Wie schon 2010, als die Griechenland-Krise anfing, spielen Merkel und ihre Follower auch diesmal ungeniert mit dem Feuer.

In Brüssel kommt das nicht gut an. Ungewöhnlich offen distanzierte sich am Montag die EU-Kommission von den „Spekulationen“ aus Berlin. Ein Euro-Austritt sei in den EU-Verträgen nicht vorgesehen, stellte ein Sprecher klar. Auch Paris möchte sich an der Kampagne nicht beteiligen. Erstaunlich ist das nicht: Schließlich kann Europa derzeit nichts weniger gebrauchen als eine neue Grexit-Debatte. Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat schon jetzt alle Hände voll zu tun, den Laden zusammenzuhalten und Großbritannien von einem EU-Austritt abzuhalten.

Dass Merkel in dieser Lage querschießt, ist ein schwerer, womöglich unverzeihlicher Fehler. Juncker wollte eben erst die „letzte Chance“ ergreifen und die Eurokrise ein für allemal abschließen. Ein Gutes hat die Sache aber doch: Es ist klar, wer zuerst geschossen hat. Dazu wird klar, dass das „deutsche Europa“ ein kaltes Europa der Diktate und Drohungen ist. Ulrich Beck hätte das nicht gewollt. Die Mehrheit der Europäer sicher auch nicht.

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