Die Talente der Mütter

Seit 2005 gibt es für junge Mütter die Möglichkeit, Ausbildungen in Teilzeit zu machen. In Schleswig-Holstein haben schon viele Frauen diese Chance bekommen. In Hamburg aber sind es gerade einmal rund zehn Frauen. Line Fenske ist eine davon

von ELKE SPANNER

Und plötzlich ging alles ganz schnell. Noch vor zwei Wochen schickte Line Fenske täglich Bewerbungen raus, nahm ebenso täglich Absagen entgegen und glaubte kaum mehr, dass sie eines Tages genug Geld für sich und ihren kleinen Sohn verdienen könnte. Jetzt sitzt sie an einem Schreibtisch der Firma Esska in Hamburg-Billbrook und nimmt konzentriert Bestellungen von Kunden auf, die übers Internet Maschinen beziehen. Die junge Mutter macht eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau – in Teilzeit. Sie ist eine der ersten Frauen in Hamburg, der diese Möglichkeit eröffnet wird.

Seit 2005 verbrieft das Berufsbildungsgesetz das Recht auf Ausbildung in Teilzeit. Entsprechende Stellen aber gibt es bisher kaum. Schleswig-Holstein ist vergleichsweise fortschrittlich: Allein in Lübeck wurden bereits über 100 Verträge über Teilzeitlehren abgeschlossen, und in Ahrensburg bildet die Stadt Verwaltungsangestellte in Teilzeit aus. In Hamburg aber gibt es gerade mal etwa zehn solcher Arbeitsplätze.

Vor dem Fenster von Line Fenskes Büro brettern Lkws vorbei. Die Gegend, reines Gewerbegebiet, ist unwirtlich, aber im Büro fühlt die 25-Jährige sich ausgesprochen wohl. Sie hat junge Kolleginnen und Kollegen, der Raum ist hell und mit Bildern an den Wänden freundlich gestaltet. Fenske hat hart um ihre berufliche Zukunft ringen müssen. Mit 20 Jahren wurde sie schwanger. Zu dem Zeitpunkt hatte sie den Realschulabschluss, eine Berufsausbildung hingegen noch nicht. Auf den Vater des Kindes konnte sie nicht zählen, das war sofort klar. Dennoch begann sie eine Schulausbildung zur „Assistentin zur Freizeitwirtschaft“, als Sohn Nino ein Jahr alt war.

Ihr Alltag in dieser Zeit: Frühmorgens weckte sie ihren Sohn und lieferte ihn um 7.15 Uhr im Kindergarten ab. Am Spätnachmittag holte sie ihn wieder ab, gestresst und mit schlechtem Gewissen. „Er war oft der Erste und der Letzte im Kindergarten“, sagt Fenske. „Das war keine schöne Zeit.“ Selbst am Nachmittag hatte sie nicht wirklich Zeit für Nino: Der Haushalt war schließlich noch da, und anschließend warteten die Schularbeiten.

Solch eine Zeit sollte sich nicht wiederholen. Das war für Line Fenske klar. Doch eine Alternative gab es ebenfalls nicht. Es folgten Ein-Euro-Jobs und kurzzeitig der Versuch, das Fachabitur zu machen – was am Geld scheiterte, da das Bafög zum Lebensunterhalt für zwei Personen nicht ausreichte. Was nicht folgte, war eine vernünftige Beratung und Betreuung durch das Arbeitsamt. Im Gegenteil: „Als ich meinem Sachbearbeiter während der ersten Ausbildung erzählte, dass das Geld zum Lebensunterhalt nicht reichte, empfahl er mir, die Ausbildung abzubrechen.“ Auch dass es die Möglichkeit einer Teilzeitausbildung gibt, erzählte man ihr nicht. Dass sie nun an ihrem Schreibtisch in Billbrook sitzt, hat Fenske ihrem eigenen Engagement zu verdanken – und ihrer Chefin Eike-Maria Gerke.

Es ist gerade mal zwei Wochen her, dass Gerke durch Zufall einen Artikel über Teilzeitlehrstellen las. Die 57-Jährige fühlte sich sofort persönlich angesprochen – sie war selbst allein erziehende Mutter und weiß, wie schwer das Berufsleben in einer solchen Situation ist. Gerke rief sofort bei der gemeinnützigen Gesellschaft Passage an, einem Projekt des Diakonischen Werkes, das die junge Mütter beim Berufseinstieg unterstützt. Wenige Tage später bezog Line Fenske ihr Büro.

„Gerade die jungen Frauen, die sich für ihr Kind entscheiden, müssen eine Chance bekommen“, sagt Gerke. Die Realität hingegen sei eine andere. Unternehmen entschieden sich in der Regel für Mitarbeiterinnen ohne Kind, weil die als flexibler gelten und weniger Fehlzeiten zu befürchten seien. Dabei verfügten gerade Mütter über besondere Fähigkeiten, ist Gerke überzeugt: „Mütter sind viel effizienter und sehr strukturiert“, sagt sie. Ihr Alltag zwinge sie, Meister im Organisieren zu werden, und davon würden auch die Arbeitgeber profitieren. Zwar sei Line Fenske jetzt zwei Stunden täglich weniger bei Esska als die übrigen sieben Auszubildenden. „Die Zeit, die sie hier ist, ist sie aber 100% da.“

Noch mangelt es an Firmen, die jungen Müttern eine solche Chance bieten. Die Passage GmbH versucht, bei Unternehmen dafür zu werben. Erfolg hat sie bislang zumeist in Unternehmen, die von Müttern geleitet werden. Die Reformhauskette Engelhardt beispielsweise hat zum August die 23-jährige M. K. als Auszubildende auf einer 30-Stunden-Stelle eingestellt. „Mütter haben größere soziale Kompetenzen und Lebenserfahrung“, ist Chefin Cathrin Engelhardt überzeugt. Wie die Firma Esska hat auch sie die Teilzeitlehrstelle über den Stellenplan hinaus eigens geschaffen. Denn auch Engelhardt kann als Mutter nicht den ganzen Tag arbeiten – „Teilzeitchefin“, nennt sie sich selbst.

Zur Vorbereitung auf ihre Ausbildung bietet die Passage den jungen Frauen Schulungen an, um sie zum Schritt in die Berufstätigkeit zu ermutigen. „Viele waren jahrelang mit ihrem Kind zu Hause und wollen erst alte Kenntnisse auffrischen, ehe sie sich eine Bewerbung zutrauen“, erklärt Astrid Schmuhl, die Koordinatorin des Projektes. Ziel sei es, die Frauen danach in Lehrstellen zu vermitteln, in denen sie 30 Stunden die Woche arbeiten.

Auch dieser Arbeitsalltag verlangt den jungen Müttern einiges ab. Line Fenske arbeitet die sechs Stunden täglich am Stück durch, ohne Pause. Darauf angesprochen, zuckt sie nur mit den Schultern. „Ich hatte meine Erwartungen an einen Beruf schon ganz nach unten geschraubt“, sagt sie 25-Jährige. „Jetzt bin ich einfach glücklich.“

Kontakt für interessierte Firmen und junge Mütter: Passage GmbH, Astrid Schmuhl, ☎ 040/32089-250 oder astrid.schmuhl@passage-hamburg.de