Wie ein gekochtes Ei

Der Berliner André Höhne erreicht beim 20-Kilometer-Gehen nicht das Ziel – schuld sind ein verwirrter Kampfrichter und die Hitze. Nach vielen Erschöpfungsdramen wird Kritik an der Vergabe der WM laut

AUS OSAKA SUSANNE ROHLFING

Bis 600 Meter vor dem Ziel war André Höhne noch auf dem richtigen Weg. Trotz Hitze. Doch am Ende fand sich der Geher aus Berlin nicht hinter der Ziellinie im Nagai-Stadion wieder, sondern im Krankenhaus. Bei der Leichtathletik-WM spielte der Körper des 29-Jährigen in einer unmenschlichen Hitzeschlacht nicht mehr mit. 200 Meter vor dem Ziel des 20-Kilometer-Rennens brach Höhne bewusstlos zusammen. Dass er es nicht geschafft hatte, war ihm zunächst nicht klar. Er wähnte sich im Ziel und stoppte noch im Fallen seine Uhr. Doch Temperaturen bis zu 34 Grad, zu wenig Wasser zur Kühlung und ein verwirrter Kampfrichter brachten Höhne um den vierten Platz.

Gut vier Stunden später sieht Höhne schon wieder halbwegs fit aus. Er kann stehen, reden und sogar scherzen: „Ich fühle mich wie ein gekochtes Ei“, sagt er. Die Beine dürfe er nicht krumm machen. „Dann bekomme ich sofort Krämpfe.“ Und in den Fahrstuhl im Hotel Riga Royal, der Residenz der deutschen Athleten im Zentrum Osakas, traut er sich auch nicht allein. Lieber wartet er auf den Wattenscheider 400-Meter-Läufer Bastian Swillims. Die Anwesenheit des breitschultrigen, noch nicht hitzegeschädigten Kollegen wirkt offenbar beruhigend.

Der deutsche Cheftrainer Jürgen Mallow ist unterdessen richtig sauer. Sauer auf den Kampfrichter, der Höhne und einen von ihm überrundeten Geher nicht auseinanderhalten konnte und Höhne deshalb statt ins Stadion ein weiteres Mal auf die zwei Kilometer lange Runde der Geher geschickt hatte. Bis der Fehler bemerkt und Höhne zum Umkehren bewegt wurde, hatten ihn zwei Konkurrenten überholt und auf Rang sechs verdrängt. Vielleicht hätte Höhne die letzten 200 Meter noch geschafft, wenn sich zu den Strapazen nicht auch noch Wut gesellt hätte. Mallow ist auch sauer auf die Organisatoren, die den Athleten auf der Strecke nicht ausreichend gekühltes Wasser zur Verfügung gestellt hatten. „Die Kühlung auf der Haut ist ausschlaggebend“, bestätigt Höhne, „der Körper schafft das über diese Distanz nicht allein.“ Das liege vor allem an der hohen Luftfeuchtigkeit, erklärt der deutsche Teamarzt Uwe Wegner. Sie erreicht in diesen Tagen in Osaka Werte zwischen 50 und 80 Prozent. Der Schweiß könne nicht mehr verdunsten, das verhindere den Kühleffekt, sagt der Mediziner aus Hannover. „Da stößt der Körper an seine physikalischen Grenzen.“ Mit Kühlwesten versucht der Deutsche Leichtathletik-Verband seinen Athleten im Stadion Linderung zu verschaffen, doch für die Ausdauersportler werden die Wettkämpfe zur Qual. Beim Marathon gaben zum Auftakt am Samstag knapp 30 Teilnehmer auf, unter anderem der Deutsche Martin Beckmann. Ulrich Steidel hatte sich in langsamen 2:30:03 Stunden ins Ziel geschleppt, anschließend musste er ärztlich versorgt werden. Und Jefferson Pérez aus Ecuador, der das 20-Kilometer-Rennen der Geher gewann, wurde im Moment des Triumphs von Krämpfen geschüttelt. Zu einer Ehrenrunde war er nicht mehr fähig, stattdessen musste er auf einer Trage von der Bahn transportiert werden.

Weil sich ein Drama an das nächste reiht, ist Jürgen Mallow auch sauer auf den Weltverband. Die IAAF habe sich bei der Vergabe der Weltmeisterschaft nach Osaka nicht vom Wohl der Athleten, sondern von den Begehrlichkeiten der Sponsoren leiten lassen. „Ohne die japanischen Sponsoren wäre die IAAF pleite“, sagt Mallow. André Höhne sagt dazu: „Unter diesen Bedingungen einen Wettkampf zu absolvieren ist abartig, aber die Sponsoren bestimmen, und damit hat es sich.“ Sichtbares Zeichen der Entfremdung der IAAF-Verantwortlichen von den Sportlern ist für Mallow der VIP-Bereich im Nagai-Stadion: „Dort sitzen sie gut temperiert und schauen aus großer Distanz den Athleten zu.“

Am Ende beruhigt sich Mallow wieder ein bisschen. Schließlich geht die WM gerade erst los. Und im kommenden Jahr sind bei den Olympischen Spielen in Peking ähnliche Bedingungen zu erwarten. „Wir wollen uns nicht unterkriegen lassen“, sagt Mallow deshalb. Vielleicht sollte er sich das Osaka-Stirnband von Speerwerferin Steffi Nerius ausleihen. Darauf steht das japanische Sprichwort: „Demjenigen widerfährt das Glück, der lächelt.“