Bedenken gegen Luhmann

betr.: „Ohne Zufall keine Freiheit“, taz vom 21. 8. 07

Cord Riechelmann kritisiert in seinem informativen Beitrag die metaphysischen und deterministischen Hintergrundannahmen in den Vorstellungswelten so berühmter Physiker wie Albert Einstein und Werner Heisenberg. Zugleich macht er sich stark für ein natur- und sozialphilosophisches Paradigma, das bereit ist, Offenheit und unberechenbare Zufälle auszuhalten, mithin in Kontingenzen zu denken. Dieses Plädoyer klingt unterstützenswert. Fragwürdig erscheint mir hingegen Riechelmanns demonstratives Werben für die soziologische Systemtheorie. Ich bezweifle, dass Niklas Luhmann sich wirklich auf ein Denken in Kontingenzen einlässt. Sein evolutionstheoretisch fundiertes Modell der Gesellschaftsentwicklung mutet überaus schematisch an und überhöht die „funktional ausdifferenzierten“ Gesellschaften so sehr, dass für eine konflikt- und veränderungssensible Analyse der „Moderne“ wenig Platz bleibt. Daher kann es nicht verwundern, dass Luhmann sich kaum mit konkurrierenden Gesellschaftsanalysen auseinandersetzt. So wird die Marx’sche Theorie von der soziologischen Systemtheorie vorschnell als „alteuropäisch“ abgekanzelt. Luhmann beschäftigt sich stattdessen lieber mit der Darwinschen Evolutionstheorie – allerdings in einer problematischeren Weise, als es bei Riechelmann anklingt. Immer wieder neigt der Doyen der soziologischen Systemtheorie zu einem unerträglich bedenkenlosen Gebrauch des Selektionsbegriffs. Und Luhmann bedient sich gern eines aggressiv-biologistischen Vokabulars, wenn er auf Denkansätze stößt, die Alternativen zum Selbstlauf kapitalistischer Gesellschaften entwerfen. Grund genug also, sich beim Denken in Kontingenzen nicht (nur) an der soziologischen Systemtheorie zu orientieren. GEERT NABER, Oldenburg