Auf dem Schlossgrab
: Das schlagende Blau

Ich mag es hier, in dieser unverhofft leeren Mitte der Stadt

Es ist ein schöner Spätsommertag am Schlossplatz. Ein Kind fotografiert seine Eltern, dabei kann es die schwarze Nikon kaum halten; eine junge Spanierin in einem schwarzen Spätsommerkleid und Polka-Dots-Strumpfhosen studiert den Reiseführer, die Seite mit „clubes y bares“ ist aufgeschlagen; zwei Amerikaner bewegen sich auf fahrbaren Untersätzen, einer Art motorisiertem Stehroller über die in die Schlossplatzwiese gelassenen Holzstege; Bierbikes unterschiedlicher Größe fahren unter lautem Gelächter der Fahrer am Ort vorbei; und hin und wieder kreuzt ein Mensch aus einer anderen Realität den Weg, schaut in die Mülleimer oder telefoniert hektisch.

Ich sehe jemanden mit dem T-Shirt THE END. Ich sehe andauernd irgendwelche Zeichen.

Eine Patientin, eine kleinere, mittelalte Frau mit hellbraun gefärbten Haaren und einem leichten Buckel, führt einen kleinen Hund aus. Der Hund, vielleicht ein Spitz oder irgendeine räudige Mischung – ich kenne mich mit Rassen nicht so aus –, trägt einen Umhang, auf dem in grüner Schrift „Therapiebegleithund“ geschrieben steht. Die Patientin hat eine gute Führung, der Hund gehorcht beflissen. Ein Taxi hinterlässt eine Busspur.

Als ich von meinem Platz aufstehe und etwas herumgehe, kommt mir eine Joggerin entgegen. Ich breite die Arme aus und sage: „Komm in meine Arme, Honey.“ Die Unbekannte lächelt – und sprintet rechts an mir vorbei.

Ich mag es hier, in dieser unverhofft leeren Mitte der Stadt, auf den Gräbern des Berliner Schlosses, des Palastes der Republik, hier neben dem Lustgarten, wo man trotz der nach Fischertechnik aussehenden Humboldtbox den besten Blick hat.

Und ich mag das schlagende Blau, diesen weiten, blauen Himmel über der Stadt, das hellblaue Licht, die Dohlenschwärme, die um den Berliner Dom kreisen, und kein Flugzeug. RENÉ HAMANN