Lernen durch Unfälle

Streit um den Abschlussbericht zum Transrapid-Unglück: Die Opposition fordert Nachbesserungen, der Wirtschaftsminister will Experten Konsequenzen aus dem Unfall mit 23 Toten ziehen lassen

VON KAI SCHÖNEBERG

Wer ist schuld an den 23 Toten auf der Transrapid-Versuchsanlage im emsländischen Lathen? Seit gut einem halben Jahr versucht ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) in Hannover, das Dickicht rund um den Unfall im vergangenen September zu lichten. 39 Zeugen wurden seit Anfang Januar vernommen, der Ausschuss besuchte sogar die Teststrecke in Lathen, um sich ein Bild darüber zu machen, wie es passieren konnte, dass der Transrapid mit rund 170 Stundenkilometern auf einen auf der Strecke abgestellten Werkstattwagen donnern konnte.

Wie groß die Meinungsverschiedenheiten über das Unglück sind, wurde am Montag erneut bei der Diskussion über den 81 Seiten starken Abschlussbericht des PUA deutlich. Jede Menge Fakten aus den Ausschuss-Akten fehlten, der Bericht ergebe ein schiefes Bild, sagte Grünen-Obmann Enno Hagenah – und legte zusammen mit seinem SPD-Kollegen Gerd Will 17 weitere Seiten vor, um die das Papier bis nächste Woche ergänzt werden soll. Dann kann das Parlament die Ereignisse abschließend beraten, die Landesregierung hätte das unangenehme Thema vom Tisch. „Sonst sind wir gezwungen, einen eigenen Bericht zu schreiben“, droht Hagenah.

Noch erhalte der Abschlussbericht aber unkommentiert Aussagen des Wirtschaftsministeriums zum Transrapid. „Das ist Regierungs-Sprech. Das geht so nicht“, sagte Hagenah. Will meint, widersprüchliche PUA-Aussagen aus dem Wirtschaftsministerium würden ein „äußerst schlechtes Licht auf die innere Organisation im Verantwortungsbereich von Minister Hirche“ werfen.

Während für die Opposition klar ist, dem für die Aufsicht über die Transrapid-Strecke zuständigen FDP-Minister hätten Sicherheitsmängel viel früher auffallen müssen, sprach Hirche gestern erneut von „unglücklichem menschlichen Versagen“. Am Ende bleibe der Mensch als Handelnder übrig, sagte Hirche.

Entgegen der Vorschriften war eine elektronische Streckensperre im Transrapid-Leitstand vor dem Unglück nicht aktiviert worden. Dies deuten Ermittler der Staatsanwaltschaft und Gutachter auch als ein „Organisationsverschulden“ des Betreibers IABG, was Hirche verneint.

Anfang Oktober sollen Transrapid-Experten beraten, wie Unfälle beim neuen Transrapid, der bereits im Emsland auf seine Inbetriebnahme wartet, vermieden werden können. „Wir ziehen nicht die Konsequenzen, nicht der Landtag und die Journalisten auch nicht“, meinte der Minister, der stets betont hatte, Details wie Sicherheitsfragen beim Transrapid seien vor dem Unfall nie zu ihm vorgedrungen. Dennoch sah er nun „allen Anlass, die Bestimmungen noch strenger zu überprüfen“. Auch die Sicherheitsgeschichte der Bahn sei ja „mit Blut geschrieben“ worden, sagte Hirche. Also: Lernen durch Unfälle, nicht durch Ausschüsse des Parlaments.

Ob die Versuchsstrecke im Emsland überhaupt noch benötigt wird, ist indes ungewiss. Aus China, wo der Schwebezug bereits in Shanghai fährt, gibt es derzeit keine Bestellungen, aber offenbar eine eigene Transrapid-Kopie. Auch, ob er in Deutschland jemals unter realen Bedingungen fährt, ist unklar. Derzeit streiten sich Bund und das Land Bayern über die Finanzierung einer Trasse in München. Am Montag machte das Bundesverkehrsministerium erneut deutlich, dass es eine Finanzierungslücke in Höhe von 645 Millionen Euro sieht.

Bahn-Chef Hartmut Mehdorn hatte schon bei seinem Auftritt im PUA gesagt, notfalls könne man auch die Strecke in München selbst zum Testen benutzen – das würde die Inbetriebnahme des Transrapids zum Flughafen nur um ein halbes Jahr verzögern.