Der Eingemeindete

Gestern hat er zum ersten Mal den Schneider gespielt. Nicht die kümmerliche Figur des Starveling aus William Shakespeares „A Midsummer Night’s Dream“, sondern die Hauptrolle der Eiswette. Dieses Dreikönigstags-Ritual gehört – gleich hinterm Schaffermahl – zu den wichtigsten hansetümelnden Bremer Events. Dass nun Peter Lüchinger, dienstältester Schauspieler und langjähriger Vorstand der Bremer Shakespeare Company, die Rolle übernahm, ist bemerkenswert – nicht nur, weil der 57-Jährige aus der Schweiz stammt.

Einerseits nämlich bedeutet es eine Professionalisierung des Spektakels an der zuverlässig nicht zufrierenden Weser: Lüchinger, Absolvent der Zürcher Schauspiel-Akademie mit 40 Jahren Bühnenerfahrung, ist ein Vollprofi. Alle seine Vorgänger waren Laiendarsteller, einschließlich des seit 25 Jahren die Rolle übernehmenden Steinmetz Burckhard Göbel, der gestern noch mal mit dabei war. Andererseits besiegelt die Übernahme der Rolle auch die Annäherung oder, warum nicht, die Integration des Bühnenmenschen in die bürgerliche Stadtgesellschaft. Ist das ein Triumph?

Seinen ersten Auftritt in der taz hatte Lüchinger 1988: Er spielte damals den Revoluzzer Valentín in Manuel Puigs „Der Kuss der Spinnenfrau“ in einem Berliner Off-Theater, und: „Lüchinger spielt, sichtbar“, heißt es mit zarter Ironie in der Kritik. Dieser Satz charakterisiert aber nicht nur Lüchingers Kunst, die sich aus einem instinktiven, stark körperlichen Spiel speist. Sie benennt auch, was wie seine Seinsweise wirkt: diese ungewöhnliche Sichtbarkeit.

Denn unübersehbar ist er längst Akteur in der Stadt, sei es als kulturpolitischer Lobbyist seines Theaters, sei es als Lobbyist auch der – durch das historische Seminar der Bremer Universität aufgearbeiteten – Akten von Opfern der örtlichen Verwaltung und Justiz. In szenischen Lesungen am historischen Ort verschafft Lüchinger den Bremer Verdrängten Präsenz und Wahrnehmbarkeit: Er spielt sie sichtbar.  BES