Die Würde der Platte ist unantastbar

AUSGRABUNGEN Tom Sky und Roskow Kretschmann gehören einer weltweiten Gemeinde von Nerds an – sie haben ein Faible für Vinyl. Mit ihrem Label „Black Pearl“ machen sie alte Schätze wieder zugänglich

Roskow Kretschmann und Tom Sky sind DJs, Produzenten und Musiker, die durch ihre lange Beschäftigung mit Musik bei einer Vorliebe für Rare Grooves aus aller Welt gelandet sind

VON ANDREAS HARTMANN

Der Grafikdesigner, der für diese Covergestaltung zuständig war, muss wohl schlimme Drogen zu sich genommen haben. Man sieht jede Menge schlecht animierter Gummibälle, die in einem Raum mit ein paar Sofas herumhüpfen. „So sehen geschmacklose Wiederveröffentlichungen aus, wie wir sie vermeiden wollen“, sagt Roskow Kretschmann und zieht die Neuauflage eines Albums der französischen Siebziger-Funkrock-Band Godchild aus einem Plattenregal. Das erinnert fatal an Chillout-Cover aus den Neunzigern, aber bestimmt nicht an Rock aus den Siebzigern.

Seit vier Jahren sorgt Kretschmann dafür, dass anderen wiederveröffentlichten Alben ein solches Schicksal erspart bleibt. Gemeinsam mit seinem Partner Tom Sky betreibt er das Reissue-Label „Black Pearl“. Beide sind sich darüber einig, dass die Würde einer Schallplatte unantastbar sein sollte. „Wir verwenden nur harte Pappe für die Außencover“, sagt Kretschmann, „diese werden von Hand geklebt und bekommen einen passenden Vintage-Touch.“ Ein Black-Pearl-Album, auf dem etwa Souljazz aus den frühen Siebzigern zu hören ist, wird nie aussehen, als könnte es sich dabei auch um das neue Werk von DJ Bobo handeln.

Vorliebe für Psychedelik

Ganz unterschiedliche und doch auf gemeinsame geschmackliche Vorlieben hindeutende Alben sind bislang auf Black Pearl erschienen, und das soll auch so bleiben. Etwa zwei Sampler mit türkischer Psychedelik aus den Siebzigern mit dem Titel „Bosporus Bridges“, wovon der erste Teil ausverkauft ist und inzwischen mehrfach gebootlegt wurde. Fast auch schon wieder vergriffen ist „Ritmo Caliente“, eine Compilation mit kubanischer Musik aus den Siebzigern, die in einer Auflage von 500 Stück erschienen ist, so wie alle Black-Pearl-Alben. Auch bei dieser Musikauswahl klingt die Begeisterung der beiden Labelmacher für psychedelische und gleichzeitig unbedingt groovige, DJ-freundliche und tanzbare Musik durch. Die aktuellste Black-Pearl-Produktion ist der Soundtrack zu einem Siebziger-Jahre-B-Movie mit Joachim Fuchsberger, der „Das Mädchen von Hongkong“ heißt und erstmalig überhaupt auf Tonträger veröffentlicht wurde. Zu hören sind ausgiebige, für die damalige Zeit typische Wah-Wah-Gitarren, Fuzzsounds und Hammondorgelklänge, ein Soundgebräu, wie es die Labelmacher lieben.

Roskow Kretschmann und Tom Sky sind beides DJs, Produzenten und Musiker, die durch die lange Beschäftigung mit Musik schließlich bei einer Vorliebe für Rare Grooves aus aller Welt gelandet sind. Beide erzählen in Kretschmanns Tonstudio, dass sie sich vor allem über die Beschäftigung mit HipHop zunehmend für die Geschichte interessierten. Durch das Sampeln alter Platten rekapituliert HipHop die Musikgeschichte. So haben die Macher selbst damit begonnen, Flohmärkte nach immer obskurerem Sample-Material abzugrasen. „Produzieren, DJing, Platten sammeln, Platten herausbringen, das geht alles Hand in Hand bei uns“, erklärt Tom Sky.

Kretschmann war einst Gründungsmitglied der Berliner Rare-Groove-Institution Jazzanova, baute sich dann ein eigenes Studio in seiner WG in Prenzlauer Berg auf und produziert dort unterschiedliche Acts aus den Bereichen Soul bis Jazz, aber auch eigene Tracks, die er unter dem Namen Sygaire veröffentlicht. Eben erst war der US-Produzent King Britt für Aufnahmen in seinem Studio – eine echte Größe, wenn es um eklektizistischen House geht. Längst sind die Black-Pearl-Macher Geschäftspartner, beste Freunde, und ein gemeinsames Musikprojekt mit dem Namen Mudegg betreiben sie auch noch.

Platten-Digger-Trips

Gemeinsam grasen sie nicht nur die Trödelmärkte ab – „vor allem die in der Umgebung Berlins“, sagt Kretschmann, „da finden wir eher Jazz, Soul und Rare Grooves aus Osteuropa als in Berlin“ –, sondern sie gehen sogar zusammen auf Platten-Digger-Trips. Vor kurzem erst sind sie von einem Aufenthalt in Trinidad und Tobago zurückgekehrt und wenn die beiden davon erzählen, bekommt man schon den Eindruck, dass es ihnen bei der Reise weniger um irgendwelche Impressionen, als um, nun ja: schwarze Perlen mit interessantem Calypso und Soca gegangen ist.

Sky gibt auch offen zu: „Man passt den Urlaub seiner Leidenschaft an, und das bedeutet durchaus, dass man lieber an die Adriaküste Exjugoslawiens reist als an die italienische, einfach weil man da die cooleren Platten findet.“ An der Aufarbeitung der letzten Arbeitsreisen wird bereits fieberhaft gearbeitet: An einer Compilation mit karibischem Funk tüfteln die beiden bereits herum, auch ein Sampler mit Discomusik aus dem ehemaligen Jugoslawien ist im Rohbau.

Sind Sky und Kretschmann also richtige Freaks und Spinner? Kretschmann gefällt es, so genannt zu werden. „Ja, warum nicht“, sagt er, weiß aber auch, dass es eine weltweite Gemeinde Gleichgesinnter gibt. Black Pearl ist nur eines unter vielen Reissue-Labels wie Soul Jazz in London oder Light In The Attic in Seattle, die Unerhörtes von überall her ausbuddeln. „Es ist vor allem ein schönes Gefühl, den Leuten musikalische Perlen auf Vinyl neu zugänglich zu machen“, erklärt Kretschmann und spricht damit für sich und für die Motivation ähnlich gelagerter Labelbetreiber. Ein Album wie „Freeway“ von Abahambi etwa, das letztes Jahr auf Black Pearl erschienen ist, bringt Kretschmann und seinen Partner zum Schwärmen.

Durchweicht vom Regen

Ein Original dieses Albums habe er einmal auf einem Flohmarkt gefunden, erzählt Sky. Das Cover war zwar durchweicht vom Regen, sah aber interessant aus – darum habe er die Platte mitgenommen. Als sich daheim die Plattennadel in die Rille grub, sei er fast vom Stuhl gefallen vor Begeisterung über den rockigen Afrobeat, der da um 1975 in Johannesburg entstanden ist. Um so seltsamer war es, dass einfach keinerlei Informationen zu diesem obskuren Fundstück aufzutreiben waren. „Dieses Album ist im Original so rar“, sagt Tom Sky, „dass es gar keinen Wert hat, auf den man das taxieren könnte.“ „Freeway“ ist kein gesuchtes Sammlerstück, das von Black Pearl wiederveröffentlicht wurde, sondern eine Neuentdeckung, die zwei Musikliebhaber verdientermaßen der ganzen Welt zugänglich gemacht haben. Und darauf können sie wirklich stolz sein.

www.blackpearlrecords.de