Ungewollte Ruhe

BIATHLON Während sich die deutschen Trainer um Weltmeisterin Miriam Gössner sorgen, fürchten die Funktionäre um die Zukunftsfähigkeit des Weltcup-Standorts Oberhof

Vanessa Hinz und Luise Kummer überraschten ihre Trainer positiv

AUS OBERHOF ANDREAS MORBACH

Seit dem olympischen Desaster von Sotschi, mit dem Dopingfall Evi Sachenbacher-Stehle als ultimativem Tiefpunkt, hat sich einiges geändert im Berufsleben von Gerald Hönig. Mit Andrea Henkel nahm im Frühjahr die letzte Verbliebene aus der goldenen Skijägerinnen-Generation des DSV Abschied vom Leistungssport. Und als Konsequenz aus den schwarzen Olympia-Tagen im Kaukasus musste Kotrainer Ricco Groß, 44, weichen und Chefcoach Hönig bekam stattdessen den 29-jährigen Tobias Reiter an seine Seite gestellt.

Ein frischer, jugendnaher Assistent als Brücke zwischen Betreuerstab und dem immer stärker sprudelnden Jungbrunnen im deutschen Frauen-Biathlon – in den nun auch der Abteilungsleiter zwangsläufig täglich eintaucht. „Ich merke schon, dass die Gesprächsthemen und Interessen jetzt etwas altersspezifischer gelagert sind. Bei manchem Schlagwort oder irgendwelchen neudeutschen Ausdrücken muss ich schon mal schlucken und denk mir: ‚Hey, was ist denn das?‘“, erzählt der 56-jährige Hönig, der dem neuen Tonfall aber durchaus offen gegenübersteht. „Ich nehm’ das positiv. Denn mit so einer jungen Truppe arbeiten zu dürfen, lässt mich nicht zu schnell altern.“

Um Verjüngung und Modernisierung geht es auch beim Biathlonstadion in Hönigs Wohnsitz Oberhof. Die Austragungsstätte der WM 2004 ist in die Jahre gekommen, 27,1 Millionen Euro sind laut einer Studie nötig, um die marode Anlage für die geplante WM-Bewerbung für 2020 oder 2021 eine akzeptable Infrastruktur zu verpassen. Im Koalitionsvertrag der neuen Rot-Rot-Grünen Landesregierung taucht die WM-Bewerbung jedoch gar nicht auf. Selbst die Zukunft als Weltcuport, die bis 2018 gesichert ist, steht infrage – so dass Sabine Reuß, die Präsidentin des Thüringer Skiverbands, bereits klagt: „Ich mache mir ernsthafte Sorgen, wie es weitergehen soll.“

Die größten Sorgen in seinem Job bereitet Gerald Hönig momentan Miriam Gössner. Das beste Ergebnis der zweimaligen Staffel-Weltmeisterin bei den drei Dezember-Weltcups war Platz 51 in der Verfolgung von Östersund. „Wir haben darüber sehr offen gesprochen, und nicht nur einmal. Das war ein Prozess von mehreren Wochen, in denen bei ihr eine große Diskrepanz zwischen Trainings- und Wettkampfleistung bestand“, erklärt der Cheftrainer der deutschen Biathletinnen den Entschluss, die 24-Jährige statt beim Heim-Weltcup in Oberhof, der am Mittwoch mit der Frauenstaffel beginnt, ab Freitag im zweitklassigen IBU-Cup in Duszniki-Zdroj starten zu lassen.

Aus dem kürzlich geäußertem Wunsch der blonden Oberbayerin, in dieser Saison alle Weltcuprennen zu bestreiten, wird also nichts. Die Mannschaftskolleginnen dagegen bieten Ende 2014 deutlich solidere Wettkämpfe an. Von Team-Oldie Franziska Hildebrand und den olympiaerfahrenen jungen Damen Franziska Preuß und Laura Dahlmeier (pausiert in Oberhof vorsichtshalber) war das zu erwarten. Vanessa Hinz und Luise Kummer, Startläuferin beim deutschen Staffelsieg in Hochfilzen, überraschten ihre Trainer dagegen positiv.

Vor allem die 22-jährige Hinz, als 18. im Gesamtweltcup in die Weihnachtspause gegangen, erstaunt mit stabilen Schießeinlagen und Fortschritten im Laufbereich. „Sie hat sich in den letzten Wochen und Monaten toll entwickelt“, sagt Hönig.

Miriam Gössner dagegen sei es schwergefallen, sich abzuschotten und auf die Wettkämpfe zu konzentrieren. Hönig erklärt: „Sie ist nach wie vor die Person in der Mannschaft, auf die sich das meiste fokussiert. Den anderen dagegen tut’s gut – denn die haben dadurch hier und da mal ein bisschen mehr Ruhe.“ Und diese Ruhe bekommt jetzt auch ihre formschwache Teamkollegin Gössner – beim IBU-Cup in Polen.