Die Avantgarde der Kochkunst

ESSEN In „El Bulli – Cooking in Progress“ schaut der Dokumentarfilmer Gereon Wetzel dem Team des experimentellen Designers von Mahlzeiten Feran Adriá in die Kochtöpfe

Die Kamera schaut genau in die Töpfe, die es allerdings kaum gibt, denn bei dieser Art von Kochen wird eher mit flüssigem Stickstoff als an einem langweiligen Herd „gekocht“

VON WILFRIED HIPPEN

Bei jeder Kulturtechnik gibt es eine Avantgarde und die Speerspitze der Kochkunst ist das exklusive Restaurant „El Bulli“ an der katalanischen Costa Brava. Für dessen Betreiber, den Drei-Sterne-Koch Feran Adriá, kommt es gar nicht so sehr darauf an, dass den Gästen die 35 verschiedenen Gerichte eines Menüs, das sie in drei bis vier Stunden essen, auch immer gut schmecken: „Sie sollen überrascht, ja verwirrt sein und sagen: das ist ein Hammer!“ Ob ihre Bäuche auch voll ist, interessiert ihn dagegen nicht im geringsten. Seine Küche hat nichts mit Sättigung zu tun, und natürlich können Arbeitslose und sogar Normalverdiener diese Art der extrem luxuriösen Verköstigung leicht als obszön ansehen.

Doch wenn man das Kochen als eine Kunst versteht, dann ist dies ein Werkstattfilm, der auf dem gleichen Niveau dem Meister und seinem Werk nahekommt wie das Künstlerporträt „Gerhard Richter Painting“, das in der letzten Woche in die Kinos kam und wohl nicht zufällig einen ähnlich gebauten (deutschen!) Titel hat. Feran Adriá betreibt sein Restaurant sechs Monate lang im Jahr, und für die Wintersaison zieht er sich mit seinen Küchenchefs in eine Laborküche in Barcelona zurück, wo dieses Team mit neuen Gerichten experimentiert. Man kann diese Räume durchaus als ihre Klausur bezeichnen, denn die Handvoll von Männern wirken in ihrer Abgeschiedenheit und mit der völligen Konzentration auf ihre Arbeit wie die Mönche eines Ordens. Es war eine klugen Entscheidung von Gereon Wetzel, sich ganz auf diesen kreativen Prozesse in der Küche zu konzentrieren. Man erfährt keinerlei biografische Details über Adriá oder seinen beiden Chefköchen, und doch lernt man sie bei ihrer Arbeit erstaunlich gut kennen. Die Kamera schaut genau in die Töpfe, die es allerdings kaum gibt, denn bei dieser Art von Kochen wird eher mit flüssigem Stickstoff als an einem langweiligen Herd „gekocht“. Und auch die Zutaten sind meist recht ungewöhnlich: „Schmeißen Sie das nicht weg“, wird der Metzger auf dem Markt ermahnt, denn aus dem „Knorpel von der Kalbsschulter“ wird später der Höhepunkt eines Menüs.

In der ersten Hälfte es Films sieht man die Köche mit den verschiedensten Nahrungsmitteln und Zubereitungstechniken experimentieren. So entsteht ein Süßkartoffelbaiser, eine Ravioli, bei der die Pasta vor den Augen des Essenden verschwindet und die Köche sind begeistert, als es ihnen gelingt, die „Essenz von Mandarinenblüten“ zu gewinnen. Der Meisterkoch Ferran Adriá kocht dabei nie. Man sieht ihn stattdessen ständig kosten und entscheiden. Vielleicht das Spannendste am Film ist jeweils sein Gesichtsausdruck, wenn er etwas probiert. Kein Wunder, dass seine beiden Küchenchefs ihn dabei so gebannt ansehen. An seinem Gesicht sieht man, wie intensiv und nuanciert dieser Mann schmecken kann und weil man hierbei die Essenz seines Wesens erkennt, ist sein ständiges Streben nach Perfektion und einem neuen Geschmack sehr berührend.

Es gibt nur eine Krise im Kochkloster, und diese ist so banal, dass man darüber lachen muss: Auf einer Festplatte sind alle Informationen, Fotos und Listen der Kochexperimente gelöscht worden, und auch wenn es von allem Kopien auf Papier gibt, explodiert Adriá sehr temperamentvoll und komisch.

Der zweite Teil des Films wurde in der Küche des Restaurants gedreht. Hier versucht ein Dutzend Köche die neuen Gerichte so zuzubereiten, dass sie sich zu genau ausbalancierten Menüs zusammenfügen. Man bekommt ein Gefühl dafür, welch ein komplexer Prozess in der Küche eines der besten Restaurants abläuft. Und Adriá sitzt wie im Auge des Hurrikans an seinem Tisch, probiert, was ihm von seinen Jüngern gebracht wird, gibt kleine Ratschläge und entscheidet, ob eine neue Kreation es würdig ist, im „El Bulli“ aufgetischt zu werden – wie etwa die „Imitierten Erdnüsse“, die Mischung aus Kaffee und Parmesan oder der „Knochenmark-Tartar mit Austern“. Wetzel gelingt es mit seiner Kamera, sowohl dem Schaffensprozess wie auch den „Werken“ gerecht zu werden. Solch eine Küche hat man noch nie gesehen und natürlich läuft einem das Wasser im Munde zusammen.