LEIDENSCHAFTEN
: Die Bücherstraße

Der Preis ist noch in D-Mark angegeben

Zwischen Regalen und Büchertischen umherzustreifen, den Blick in Kunstbände zu werfen und in bisher ungelesenen Bücher favorisierter Autoren zu stöbern, das ist an diesem Samstag Grund für einen Spaziergang durch die Knesebeckstraße in Charlottenburg. Die Ruhe im großen Geschäft mit der reduzierten Ware wird mit einiger Regelmäßigkeit gestört: das Geräusch raschelnder Papiertüten, durchweg kleinstes Format, durchkreuzt den Raum ebenso wenig zielgerichtet wie deren Träger. Zu beobachten ist jene Klientel nun bei dem Versuch, den soeben getätigten Erwerb eines überteuerten Artikels aus dem Reich der guten Dinge mit einem Schnäppchen auszugleichen.

Auf der anderen Straßenseite ziehe ich ein antiquarisches Buch aus dem Regal, dessen Preis auf dem Schildchen noch in D-Mark angegeben ist. „Einfach die Hälfte“, antwortet der Buchhändler, als ob ich ihm eine vollkommen überflüssige Frage gestellt hätte. Offenbar konnte dieses Werk in all den Jahren seinen Wert halten.

Nebenan schließt soeben der Chef eines großen Berliner Literaturfestivals die Haustür auf, eine Ladung gereinigter Kleidungsstücke trägt er unter dem Arm. Ein paar Meter weiter blättern wir in ausgesuchten Erst- und Gesamtausgaben, deren Lektüre wir uns in späteren Jahrzehnten selbstredend vornehmen werden. Wir wagen die Bitte darum, ein Buch aus der Vitrine anzufassen. Es ist ein durchaus erhebender Moment, die Erstausgabe von Franz Kafkas „Schloss“ in den Händen zu halten. Doch halt: Warum, in aller Welt, schlummert dieses eine Exemplar einer Auflage von 2000 nicht schon längst seinen gerechten Schlaf in einer der unzähligen Privatbibliotheken dieser Stadt? Die Nachbarschaft scheint solche Leidenschaften nicht zu pflegen, und die echten solventen Liebhaber sind weit, weit weg. FRANZISKA BUHRE