„Sie müssen zur Toilette“

LESUNG Heinz Ortmann stellt in „Erlebnisse eines Bremer Gästeführers“ seinen Beruf vor

■ 74, ist Erzieher und Sozialpädagoge und arbeitet seit 20 Jahren als Stadtführer für die Bremer Touristik-Zentrale.

taz: Herr Ortmann, ist die Arbeit eines Stadtführers nicht eher langweilig – immer die gleichen Sehenswürdigkeiten, immer der gleiche Text?

Heinz Ortmann: Im Gegenteil. Ich muss mich ja jedes Mal neu mit den jeweiligen Gruppen, Gegebenheiten und Wünschen der Gäste auseinandersetzen. Stadtführungen korrespondieren immer mit dem, was gerade drumherum passiert.

Was ist das zum Beispiel?

Nun, ich hatte beispielsweise einmal eine vierte Klasse, die eine Stunde Rathaus bestellt hat. Nach Ende der Stunde hat sich der offenbar gut vorbereitete Klassensprecher vor mich hingestellt und gefragt: „Können wir jetzt mal den Bürgermeister sehen?“ Es stellte sich heraus, dass die ganze Klasse gern Jens Böhrnsen sehen wollte, weil der nämlich ihre Lehrerin geheiratet hatte – die wollten den Mann kennenlernen, der ihnen die Lehrerin weggenommen hat! Der Bürgermeister war zwar nicht da, aber seine Sekretärin hat den Kindern wenigstens noch sein Büro gezeigt. Oder als Juventus Turin gegen Werder verloren hat, das war auch super.

Was war denn da?

Da erklärte ich gerade einer Gruppe an den Stadtmusikanten, dass man den Huf des Esels konzentriert mit beiden Händen reiben muss, weil das Glück sonst nicht kommt, als die Fußballer von Juventus Turin ankamen. Sie posierten vor Kameras, rieben einhändig den Huf und machten mit der anderen Hand das Victory-Zeichen – und abends haben sie gegen Werder vier zu zwei verloren!

Gibt es auch Gäste, die alles besser wissen als der Gästeführer?

Die gibt’s auch, aber bei manchen Dingen, zum Beispiel beim Thema Architektur, kann man ja durchaus auch mal kontrovers diskutieren. An eine wirklich unschöne Führung erinnere mich aber: Da sind 28 Gymnasiallehrer aus Münster angereist. Drei von denen haben offenbar schon während der Fahrt getrunken und redeten ständig dazwischen. Ich habe sie, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, irgendetwas Neutrales gefragt wie „Sind Sie zum ersten Mal hier?“, und einer hat geantwortet: „Wen interessiert das überhaupt?“ Denen hab ich später angeboten, ihnen ihr Geld zurückzugeben – man hat ja auch seinen Stolz.

Und was sind Ihre liebsten Gäste?

Kinder. Die fragen und reden. Sie müssen zur Toilette oder frieren oder haben Durst. Da bekommen die Führungen immer eine ganz herrliche Eigendynamik. INTERVIEW: SCHN

18 Uhr, Presse-Club, Im Schnoor 27/28