Pekings kritischer Parteigänger

Von wegen Regimekritiker. So leicht lässt sich das 54-jährige KP-Mitglied Li Datong nicht einordnen, obwohl er als solcher gestern von Bundeskanzlerin Merkel zur Privataudienz ins Pekinger Hyatt-Hotel gebeten wurde. Merkel wollte sich während ihres China-Besuchs über die Zensur von Andersdenkenden wie Li informieren und ein Zeichen für Meinungsfreiheit setzen. Sie sagte, dass sie aufgrund ihrer DDR-Vergangenheit vielleicht mehr von der Mediensituation in China verstehe als andere.

Li aber blieb cool: „Obwohl sich am Zensursystem der Medien nichts geändert hat, berichten die Medien in China heute tiefer und breiter. Das hat man im Westen nicht ausreichend verstanden“, so Li nach dem Gespräch mit der Kanzlerin zur taz. Er ist eben keiner, der sich für einseitige Sichtweisen vereinnahmen lässt. Genau deshalb aber war er stets ein Problem für seine Partei.

Li, der schon 1979 das erste Mal einer KP-Redaktion beitrat, war lange Jahre die Symbolfigur für einen ehrlichen Parteijournalismus in China. Bis heute zählt er als Freischreibender zu den bekanntesten Journalisten im Land. Als einer von mehreren Chefredakteuren der zweitgrößten KP-eigenen Zeitung China Youth Daily gab er von 1995 bis 2006 die Beilage Gefrierpunkt heraus. Sein Blatt schrieb über die sozialen Gegensätze im Land, kritisierte die voreingenommene Geschichtsschreibung der KP und forderte Schulbuchkorrekturen. Energisch setzte sich Li für eine Neubewertung der taiwanischen Demokratie in China ein und kritisierte die Feindbild-Mache der KP gegenüber der Insel.

Erstaunlich war, dass Li überhaupt zum Chefredakteur aufstieg. Er hatte während der Studentenrevolte im Frühjahr 1989 den Protest junger Journalisten gegen die Parteilinie organisiert, hatte Petitionen geschrieben und auf offener Straße mit Kollegen demonstriert. Doch nach dem Tiananmen-Massaker, das die Revolte beendete, entkam Li ungestraft.

Den Bruch mit ihm vollzog die Propagandaabteilung der KP erst Anfang vorigen Jahres, als sie ihn nach einem kritischen Artikel über den chinesischen Boxeraufstand ohne Begründung seines Amtes enthob. Es gab einen Aufschrei im Internet, Tausende schickten Protestnoten. Doch Li nahm den Rausschmiss sportlich und wurde zum glühenden Verfechter des Internets.

Li ist der Meinung, dass Pluralität und Professionalität bei chinesischen Medien stärker werden – trotz Zensur. Er führt das auf die schwindende Rolle der Ideologie im Parteibetrieb zurück, aber auch auf Privatisierung und Digitalisierung der Medienlandschaft. Mit DDR-Zeiten hat das für ihn nur noch wenig zu tun. GEORG BLUME

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