Orgelwunder an der Weser

CARPENTER & KAMMERPHILHARMONIE Mit einem „Skandal“ biegt das Bremer Musikfest in seine Zielgrade ein

Bei aller Exzentrik wirkt Carpenter im Grunde schüchtern – bis er die Orgelbank unter sich hat

Für die Sauer-Orgel in der „Glocke“ war es kein Tag der Freude. Cameron Carpenter ist in der Stadt, der Popstar der internationalen Organistenszene – und verschmäht das vor Kurzem aufwändig wieder in Form gebrachte Riesen-Instrument. Statt dessen bevorzugte Carpenter eine angemietete Truhenorgel. Und gab auf ihr eines der fulminantesten Konzerte des diese Woche zu Ende gehenden Musikfestes.

„Der Skandal“ für Orgel und Orchester, Carpenters eigenes Opus, vermittelt geradezu prototypisch die Mission des 29-jährigen Ex-Wunderkindes: Der Orgel jeden Nimbus von Heiligkeit und weihevollem Wohlklang zu nehmen, sie unvoreingenommen als die gigantische Musikmaschine zu nutzen, die sie durch ihre voluminöse Klangvielfalt tatsächlich ist. Im „Skandal“ produziert Carpenter Programm-Musik mit klar verteilten Rollen: Das Orchester ist empört, per Orgelklang behauptet sich die betroffene Person, um schließlich im innigen Duo mit dem Cello Frieden zu finden.

Carpenter entzieht sich gängigen Kategorien. Wer etwa Chopins wahnwitzige Läufe freihändig, also allein mit dem Pedal spielt, darf seine Beine auch optisch zur Geltung bringen. Carpenter tut das mit einer hautengen Glitzerhose, deren Pailletten er höchstselbst anzunähen pflegt. Bei all’ dieser demonstrativen Exzentrik wirkt Carpenter im Grunde schüchtern – eine Unsicherheit, die erst vergeht, so bald er das Holz der Orgelbank unter sich hat. Wenn seine Hände und Füße dort einen Bach tanzen, ist nur noch schwingende Mühelosigkeit wahrzunehmen.

Carpenters Vorsicht bei der Instrumenten-Wahl mag einer Schmähung geschuldet sein: Bei der Uraufführung des „Skandals“ in der Kölner Philharmonie attestierte die Kritik der dortigen Orgel die Qualitäten eines „asthmakranken Seelöwen“, was die Komposition zerstört habe. Das allerdings unterschätzt Carpenters klanglichen Kosmos.

Wer einen solchen Musiker klanglich auskalibrieren kann, muss seinerseits über Ausnahmequalitäten verfügen. Das tut die auch mit Bernstein, Gershwin und Copland angetretene Kammerphilharmonie zweifellos. Zumal, wenn sie von Alexander Shelley dirigiert wird, der kürzlich zum Leiter des Orchester-eigenen „Zukunftslabors“ avancierte. Das Zusammentreffen dieser drei Akteure war ein Musikfest-Fest. HENNING BLEYL

Musikfest-Finale: Janine Jansen (Freitag) und Anna Caterina Antonacci & Orchestre les Siècles (Sa)