ANRUF AUS AUSTRALIEN
: Drüber weg

Schade, dass er so weit weg war

Letzten Montag habe ich einen Anruf aus Australien bekommen. Nachts um halb vier. Es gibt Dinge, die ich wirklich gern mache. Nachts um halb vier mit Australien telefonieren gehört nicht dazu. Wenn ich mir zu so einer Uhrzeit überhaupt irgendetwas vorstellen könnte, also rein hypothetisch gesehen, dann allerhöchstens vielleicht noch eine Partie Tischtennis zu spielen. Über Tischtennis geht einfach nichts. Ganz im Gegensatz zum Telefonieren, vor allem dem „nachts um halb vier mit Australien“-Telefonieren. Selbst wenn da nicht der ganze Kontinent auf einmal dran ist, sondern nur ein einzelner Australier. Ein Aborigine, der bloß falsch verbunden ist zum Beispiel. Wenn ich um diese Uhrzeit telefonieren muss, kriege ich einfach die Krise. Zumindest war das so. Bis letzten Montag.

Ein sehr guter Freund von mir ist seit fünf Wochen in Australien unterwegs. Er hat sehr viel Trübsal geblasen in den vergangenen Monaten. Montagnacht schließlich klingelte bei mir das Telefon. Clemens. Zuerst verstand ich nur Bahnhof, weil er schnell und durcheinanderredete, bis er auf einmal sagte: „Bin drüber weg.“ Für zwei oder drei Sekunden war Schweigen zwischen hier und Australien. Nur Knistern in der Leitung. Für diesen kurzen Satz würde ich jederzeit wieder um halb vier Uhr morgens aufstehen.

Es war schließlich kein Allerweltsaufstehen für irgendwen. Es war für Clemens. Einen Freund, der seit fünf Wochen mit dem Fahrrad versuchte, sich im tiefsten Australien etwas von der Seele zu strampeln. Einen Tischtennisspieler, dessen Vorhand zum Harmlosesten gehört, das ich kenne. Der in all den Jahren kaum eine unserer Partien gewinnen konnte und trotzdem noch immer mit mir spielt. Schade, dass er in diesem Moment so weit weg war. Wir hätten sonst zur Feier ein kleines, aber feines „Er ist drüber weg“-Match spielen können. JOCHEN WEEBER