Die Orgel im Pop

Manche Instrumente sind in ihrer Popularität ganz klar Konjunkturzyklen unterworfen. Die Gitarre gehört eher nicht dazu, sie hat sich mit den Jahren längst als Goldstandard der Popmusik bewährt. Bei Tasteninstrumenten ist das oft anders. Synthesizer etwa mussten und müssen sich immer wieder gegen Vorurteile und allerhand irrationale Abwehrreflexe behaupten. Saxofone sind ebenfalls nicht jedermanns Sache, auch wenn die in den Achtzigern so ziemlich jeden Radiohit mit einem Solo „veredeln“ durften.

Und die Orgel? Während der Sechziger war sie, in vergleichsweise handlicher elektrischer Form, ein unter Rockbands gern gesehener Hintergrundverstärker, der sich allmählich gegenüber der Gitarre als Melodieinstrument emanzipierte. Bei Pink Floyd etwa schien der Orgelbevollmächtigte Richard Wright seine Hammond sogar viel lieber für Melodisches als für wuchtige Akkorde einsetzen zu wollen.

Dieser Trend zum Solieren sollte sich dann in den Siebzigern noch verstärken. Was nicht unbedingt erfreuliche Ergebnisse zur Folge hatte. Mit einem Namen wie Jon Lord etwa kann man so manchem Musikliebhaber echte Gruselschauer bereiten, Deep Purple hin oder her. Auch Tastenschinder wie Tony Banks von Genesis haben kaum zum Ansehen des Instruments beigetragen. Mit seinen Klavierschülerläufen jagte er über so ziemlich alles, was er unter die Finger bekam, irgendwann verfiel er immer häufiger auf elektronische Geräte. Bis es sich dann im Pop erst einmal weitgehend ausgeorgelt hatte.

Kaum zu glauben, dass Minimalisten wie Steve Reich unterdessen Stücke namens „Four Organs“ vorzulegen wagten. Doch da herrschte auch ein strengeres Regime als bei den undiszipliniert ausufernden Art Rockern mit ihrer Streberleidenschaft: Ein paar Tonleitern weniger, und schon konnte man die künstlichen Pfeifenklänge wieder genießen.

Schön, dass der Pop sich heute eher an Reich als an Rockern zu orientieren scheint. Der isländische Komponist Jóhann Jóhannsson scheint sich sogar ganz direkt auf Reichs Stück zu beziehen, wenn er seine Band Apparat Organ Quartet nennt. Da stört es nicht groß, dass die vier Keyboarder eher Synthesizer statt Orgeln bedienen und auch nicht als Quartett spielen – sie haben einen Schlagzeuger mit im Bunde. Dem und ihrer am Minimalismus geschulten Strenge ist es wohl zu verdanken, dass die fünf Musiker etwas schaffen, was man von vielen ihrer Pop-Vorgänger nur eingeschränkt behaupten kann: Sie rocken.

TIM CASPAR BOEHME

■ Apparat Organ Quartet: Pólýfónía (Crunchy Frog/Soulfood); live: Volksbühne, So., 20 Uhr