Hören als Tragödie

Dass der Schöpfer dieses Stücks einer der engagiertesten Komponisten des 20. Jahrhunderts war, hört man der Musik so direkt gar nicht an. Doch Luigi Nono, selbst aus einer privilegierten venezianischen Familie stammend, schrieb nicht nur zahlreiche Werke mit eindeutig politischem Inhalt, er reiste auch nach Kuba oder Moskau und stieg in seiner Heimatstadt zu den Arbeitern auf die Schiffe, wenn diese die rote Fahne hissten. In „Prometeo. Tragödie des Hörens“ sind keine offensichtlichen Botschaften zu vernehmen, und dennoch hat diese stark verinnerlichte Musik nichts mit einem selbstgenügsamen Rückzug auf den Klang zu schaffen. Vielmehr wird das Hören selbst zum politischen Tun, denn Nono bricht in diesem Spätwerk von 1984, das er sechs Jahre vor seinem Tod vollendete, mit so ziemlich allen Konventionen der Trennung von Konzert und Musiktheater, von instrumental und vokal. Sei es die dezentrale Anordnung der Musiker und Sänger, die in kleinen Gruppen im Raum verteilt spielen, oder die systematische Verfremdung der Gesangsstimmen, deren Text oft nur noch als Rudiment vorkommt. Mittlerweile sind solche Techniken gang und gäbe, bei Nono, der mit dieser Komposition bis heute großen Einfluss auf jüngere Künstler hat, waren sie aber nicht nur neu, er setzte sie auch so konsequent und präzise ein, dass die Musik nichts von ihrer irritierenden Faszination verloren hat. Die Auswahl der Texte von Aischylos über Friedrich Hölderlin und Friedrich Nietzsche bis zu Walter Benjamin stammt von dem italienischen Philosophen Massimo Cacciari, mit dem Nono seit den Siebzigern oft zusammenarbeitete. Dass man von ihnen fast nichts versteht, mag ein Aspekt des Tragischen sein, zugleich ist dieser „Prometeo“ eine Tragödie als Hören. Heute und morgen wird sie unter dem Dirigenten Arturo Tamayo als Teil des Musikfests Berlin im Kammermusiksaal der Philharmonie aufgeführt. TCB

■ „Prometeo“: Kammermusiksaal der Philharmonie, Herbert-von-Karajan-Str. 1. Heute und morgen, 20 Uhr. Ab 30 Euro