Bunte Kieze

WOHNPOLITIK Wie sollen gemeinschaftliche, nicht spekulative Wohnprojekte, Genossenschaften und Baugemeinschaften in Berlin gefördert werden? Die taz und die Experimentdays 11 fragen zur Wahl Bauexperten der Parteien

VON MICHAEL ARNDT

Berlin hat Zuwanderung, und der Leerstand auf dem Wohnungsmarkt sinkt. Gleichzeitig nimmt die Anzahl der Singlehaushalte zu. Gegenwärtig besteht ein Defizit bei kleinen preiswerten Wohnungen in den innerstädtischen Bezirken. Eine bestandsorientierte Wohnungspolitik und ein Mehr an Mietenregulierung greift hier zu kurz. Unsere wachsende Stadt bedarf verstärkt privater und öffentlicher Neubauvorhaben, um Verwerfungen vorzubeugen, sodass auch morgen der Stadtfrieden bewahrt werden kann.

Die SPD-Fraktion hat hierzu in dieser Legislaturperiode Akzente gesetzt. Wir beschreiten schon heute neue Wege in der Liegenschaftspolitik und Neubauförderung. Erstens wird die Liegenschaftspolitik als strategisches Stadtentwicklungsinstrument weiterentwickelt. Das öffentliche Eigentum an Grund und Boden soll nicht nur für eine gezielte Stärkung der Berliner Wirtschaftskraft, sondern vor allem auch für Wohnungsneubau und für den sozialen Zusammenhalt eingesetzt werden. Der kostbare Berliner Grund und Boden darf nicht weiter unter rein fiskalischen Gesichtspunkten verwertet werden. Zweitens wollen wir, dass die genossenschaftliche Wohnform bei der Entwicklung neuer städtischer Wohnmodelle einen innovativen Beitrag leistet. Sie rückt verstärkt in das öffentliche Bewusstsein, weil sie über Jahrzehnte ein wichtiger Impulsgeber für eine nachhaltige Wohnungswirtschaft war.

Unser neues Projekt ist es, einen Neubauwettbewerb für diese Unternehmensform auszuloben. Ziel ist die Sicherung bezahlbaren Wohnraums für untere und mittlere Einkommensgruppen. Wir werden vor allem die Erstellung kleinerer Wohneinheiten (1,5 bis 2 Zimmer mit ca. 50 Quadratmetern) unterstützen. Die Nettokaltmiete sollte maximal ca. 6,52 bis 7,95 Euro je nach Standort und dortiger örtlicher Vergleichsmiete betragen. Gefördert werden sollen die Baukosten und nicht der Grund und Boden. Damit ist gewährleistet, dass die Fördersumme ca. 30.000 Euro je Wohneinheit nicht zu übersteigen braucht, das Gesamtvolumen trotz der Berliner Haushaltslage zu stemmen ist und so vergleichbare Projekte für ein gutes und preiswertes Wohnen in unserer Stadt entwickelt werden können. Dieses anspruchsvolle Ziel verlangt flexible Wettbewerbsvorgaben, keine starren Regelungen, und die Kreativität der Bauherren. Dieses Vorgehen eröffnet neue Wege für eine neue Fördersystematik im Wohnungsneubau und ermöglicht, dass Berlin auch im Neubau mieterfreundlich bleibt.

Michael Arndt

■ 60, Diplomvolkswirt, ist bau- und wohnungspolitischer Sprecher der Berliner SPD-Fraktion.

VON ANDREAS OTTO

Wir wollen, dass Wohnungspolitik in Berlin nach zehn Jahren Stagnation überhaupt wieder anfängt. Schwerpunkt ist für uns, dass Segregation in Arm und Reich begrenzt wird. Die vielen Wohnprojekte und Genossenschaften in Berlin sind wichtige Institutionen für den Wohnungsmarkt. Gemeinschaftliche und selbst organisierte Projekte, bei denen Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen, sind ein Markenzeichen der Stadt. Wir wollen in den Bezirken eine Debatte darüber führen, wo Wohnungsbaustandorte, wo Gewerbeflächen und wo Grünflächen in den nächsten 20 Jahren entstehen sollen und wo vorhandene Nutzungen Bestand haben müssen. Stadtplanung muss Prozesse steuern und moderieren.

In der Wohnungspolitik geht es neben der Stadtplanung aber auch um Geld und um Grundstücke. Berlin ist gerade wegen der verfehlten Wohnungspolitik von SPD und CDU so hoch verschuldet. Jedes Jahr werden mehrere 100 Millionen Euro in die alte Wohnungsbauförderung gesteckt. Für neue Häuser bleibt nichts übrig. Wenn die Rückläufe der alten Förderung die Ausgaben überschreiten, wollen wir Wohnungsbau wieder fördern. Im Gegensatz zur Vergangenheit jedoch über einen „revolvierenden“ Fonds, der das Geld im Förderkreislauf hält. Grundstücke aus Landesbesitz wollen wir über den Liegenschaftsfonds zielgerichtet für Infrastruktur und Wohnen vergeben. Es geht um ein Festpreisverfahren und im Wohnungsbau auch um Erbpachtmodelle.

Selbst organisiertes Wohnen findet nicht nur im Neubau statt. Wir wollen auch im Bestand Menschen unterstützen, ihr Wohnschicksal selbst in die Hand zu nehmen. Eine Möglichkeit besteht darin, dass in den Milieuschutzgebieten die Stadt ihr Vorkaufsrecht nach Paragraf 24 BauGB nutzt und Häuser erwirbt, deren Eigentümer die Ziele des Milieuschutzes nicht erfüllen. Diese Häuser können dann an die Bewohner weiterverkauft werden, zum Beispiel wenn sie eine Genossenschaft gründen.

Regional drängt es viele Projekte in die angesagten Ortsteile von Mitte, Pankow und Friedrichshain-Kreuzberg. Wir wollen gemeinsam mit den Akteuren Wege finden, wie selbst organisiertes Wohnen auch in anderen Teilen der Stadt Fuß fassen kann. Für ihren Kiez engagierte Mitmenschen werden überall gebraucht.

Andreas Otto

■ 49, Diplomingenieur, ist bau- und wohnungspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

VON UWE DOEHRING

In der Koalitionsvereinbarung von SPD und Die Linke ist 2006 vereinbart worden, kooperative und solidarische Wohnformen zu fördern. Erreicht werden sollte dies durch die Direktvergabe von städtischen Grundstücken. Geprüft werden sollte, ob ein Wohnprojektefonds geschaffen wird, der langfristige Darlehen ausreicht. Heute, nach fünf Jahren der zweiten rot-roten Koalition, kann Die Linke feststellen, dass erste Schritte unternommen worden sind.

Bereits in einem Antrag von 2007 forderten wir den Senat auf, über den Liegenschaftsfonds landeseigene Liegenschaften direkt und transparent zu vergeben. Im Blickfeld haben wir dabei Genossenschaften, Projekte des generationsübergreifenden Wohnens und Selbsthilfegruppen. Wir wollen, dass die Förderung von Baugruppen durch die Vergabe von Grundstücken zum Festpreis an den Abschluss von Sozialvereinbarungen geknüpft wird, etwa eine Vermietung eines Teils der Wohnungen zu sozial verträglichen Konditionen.

Den Genossenschaftsgedanken möchte Die Linke weiterhin fördern. Daher sollen Grundstücke nicht nur an bestehende Genossenschaften, sondern auch an Genossenschaften in Gründung vergeben werden.

Die Linke konnte sich von gelungenen alternativen Wohnprojekten vor Ort ein Bild machen. Sie musste aber auch feststellen, dass bisher, um mietenpolitisch einen spürbaren Effekt zu erzielen, viel zu wenige Grundstücke nach dem Festpreisverfahren vergeben werden. Die Linke hat öffentlich kritisiert, dass der Liegenschaftsfonds die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses noch nicht so umsetzt, wie die Stadt sich dies wünscht. Auch steht die Schaffung eines Fonds noch aus. Die Linke unterstützt diese Idee, um zusätzlich zur Bereitstellung von Grundstücken langfristig über Darlehen alternative Wohnprojekte zu ermöglichen.

Den derzeitigen Ausschluss von Wohnungsbau aus der Förderung mit EU-Mitteln wollen wir überwinden. Das Land könnte dann EU-Mittel kofinanzieren. Auch halten wir eine Aufstockung der Fördermittel des Bundes und nicht deren Streichung für notwendig.

Es gilt nun, die Beschlüsse des Abgeordnetenhauses mit Leben zu füllen. Insbesondere vom Finanzsenator und vom Liegenschaftsfonds erwartet Die Linke mehr Beweglichkeit, damit landeseigene Grundstücke nicht meistbietend verkauft, sondern aktiv zur sozialen Entwicklung der Stadt genutzt werden.

Uwe Doering

■ 57, Elektromechaniker, ist bau- und wohnungspolitischer Sprecher der Berliner Fraktion Die Linke.

VON RALF GERLICH

Gemeinschaftliche Wohnprojekte können ein wichtiger Baustein beim Erhalt bunter Kieze sein. Vor allem im Innenstadtbereich lässt das Spiel der Kräfte am freien Markt diesen nicht am Gewinn orientierten Projekten aber kaum Raum zur Entfaltung. Mit einer geänderten Vergabepolitik des Liegenschaftsfonds hat das Land Berlin die Chance, genau diesen Raum zu schaffen. Die derzeitige Praxis, die im Landesbesitz befindlichen Immobilien überwiegend im Bieterverfahren zu veräußern, um einen höchstmöglichen Verkaufserlös zu erzielen, ist änderbar, allein es fehlt der politische Wille. Denkbar ist, bestehende Wohnmietobjekte in einer ersten Vergabestufe den aktuellen Mietern zu einem fairen Preis zum Erwerb anzubieten oder langjährige Pachtverträge abzuschließen. Als Modelle hierfür können die seit vielen Jahren gut funktionierenden Hausprojekte dienen, die ihren Ursprung in den Hausbesetzerbewegungen Ost- und Westberlins haben. In langen Jahren ihres Bestehens haben sie sich als Nischen etabliert. Es gilt, die hier gesammelten Erfahrungen für breitere Bevölkerungsschichten einzusetzen, um Verdrängung eine Alternative entgegenzusetzen. Um Baugemeinschaften zu fördern, kann das Land Berlin mithilfe des Liegenschaftsfonds ausreichend Flächen zum Verkauf ausweisen, die ausschließlich für den Wohnungsbau zur späteren Eigennutzung zur Verfügung stehen. Mit der Investitionsbank Berlin besitzt das Land Berlin bereits heute ein Institut, über das die Möglichkeit besteht, speziell auf nicht am Gewinn orientierte Wohnprojekte zugeschnittene Fördermöglichkeiten zu entwickeln.

Unbedingt erforderlich ist es, Beratungsangebote zu schaffen, die den potenziellen Interessenten Wege zur Realisierung solcher Projekte aufzeigen.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Instrumente und Erfahrungen, um Wohnprojekte und Baugemeinschaften zu stärken und damit auch zur Entspannung des Wohnungsmarkts beizutragen, sind vorhanden. Man muss sie nur nutzen

Ralf Gerlich

■ 41, Dipl.-Ing., Exhausbesetzer und seit 12 Jahren Vorstand des Hausprojekts Titanic e. V. in der Pfarrstraße, ist Spitzenkandidat der Piratenpartei für die BVV Friedrichshain-Kreuzberg.