Ein Land steht unter Schock

ATTENTAT Bei dem Anschlag auf das französische Satiremagazin werden zwölf Menschen getötet, darunter der Chefredakteur und drei weitere Zeichner. Die Täter entkommen unerkannt

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Zwei oder drei vermummte und wie Mitglieder eines Kommandos schwarz gekleidete Männer haben sich am Mittwochmorgen nach elf Uhr Zugang zur Redaktion des Satireblatts Charlie Hebdo im 11. Pariser Stadtarrondissement unweit der Bastille verschafft. Dort haben sie in der Eingangshalle mit Kalaschnikows sofort und wahllos das Feuer auf die Anwesenden eröffnet. Nach bisherigen Angaben sind bei diesem Massaker zwölf Menschen getötet worden, von den Verletzten schwebten gestern mehrere noch in Lebensgefahr. Unter den Todesopfern befinden sich auch der Charlie-Chefredakteur Stéphane Charbonnier sowie die sehr bekannten Zeichner Cabu und Wolinski.

Bei zwei Opfern handelt es sich um Polizisten, die Redaktion stand unter Polizeischutz. Augenzeugen berichten, bei der Attacke sei ein Raketenwerfer eingesetzt worden und während des Angriffs hätten sie mindestens dreißig Schüsse gehört. Im Gebäude und rund herum brach Panik aus, ein Teil der Belegschaft konnte aufs Dach flüchten.

Von einem benachbarten Haus sahen die Mitarbeiter der Fernsehagentur Premières Lignes, wie die Attentäter in ein schwarzes Fahrzeug stiegen und sich den Fluchtweg gegen Polizisten frei schossen. Bei der Verfolgungsjagd fuhren sie zudem einen Fußgänger um. Am nördlichen Stadtrand bei der Porte de Pantin zwangen sie dann einen Autofahrer, ihnen sein Fahrzeug zu überlassen. Die Polizei verlor danach offenbar ihre Spur.

Nach unbestätigten Angaben soll einer der Angreifer während der Aktion gerufen haben: „Der Prophet ist gerächt! Charlie Hebdo ist tot!“ Das könnte einen ersten Hinweis auf die Motive der Terroristen geben. Charlie Hebdo hatte sich mit „blasphemischen“ Karikaturen den Zorn extremistischer muslimischer Kreise zugezogen (siehe links).

Die Redaktion aber bestand auf ihrem Recht, über den Papst, den amerikanischen Präsidenten oder Jesus, Mohammed und Gott mit dem Zeichenstift zu spotten. Im Fall der Mohammed-Zeichnungen stellte Charlie Hebdo auch den Exklusivanspruch der Muslime infrage: „Wem gehört Mohammed? Der ganzen Welt. Er ist der Prophet der Muslime, gewiss, aber für andere ist er eine Persönlichkeit der Geschichte oder eine Legende. Man darf ihn karikieren, wie man auch Jesus, Napoleon oder Zorro karikiert.“

Politisch korrekt war Charlie Hebdo nie. Das Satireblatt nahm sich immer das Recht heraus, manchmal auch jenseits des guten Geschmacks, jeden zu karikieren. Noch auf einem Neujahrsgruß per Twitter war auf einer Zeichnung der Chef der Terroristenorganisation Islamischer Staat, der „Kalif“ Al-Bagdadi, abgebildet, der Frankreich „vor allem Gesundheit“ wünscht. In der letzten Nummer stand in seiner Zeichnung unter der Überschrift „Noch immer keine Attentate in Frankreich“ ein Dschihadist, der sagt: „Wartet ab, für die Neujahrswünsche hat man bis Ende Januar Zeit …“ Im Nachhinein tönt diese Provokation nun wie eine böse Vorahnung.

Dass hier gezielt ein Anschlag auf die Medien verübt wurde, hat Frankreich besonders erschüttert. Noch für gestern Abend wurde auf der Place de la République eine Solidaritätskundgebung angesetzt.

Schon kurz nach den blutigen Vorfällen traf Staatspräsident François Hollande zusammen mit Innenminister Bernard Cazeneuve am Tatort ein. Er sprach von einem feigen und barbarischen Anschlag auf die Pressefreiheit und die Republik. Die Journalisten von Charlie Hebdo seien für die Freiheit gestorben, an der sie immer festhalten wollten, und die Polizisten bei ihrer Aufgabe, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu schützen. Er versicherte, die Täter würden gnadenlos verfolgt. Die Regierung trat unter seiner Leitung am Nachmittag zu einer Krisensitzung zusammen.

Sofort nach Bekanntwerden der Anschlags stellte die Terrorabwehr von der bereits geltenden höchsten Alarmstufe Rot auf die direkte Gefahrenlage „Attentat“ um. Das bedeutet, dass die meisten Redaktionen der Medien unter Polizeischutz gestellt werden und die Überwachung im öffentlichen Verkehr massiv verstärkt wird.

Zunächst aber steht Frankreich völlig unter Schock. Es war, wie wenn für einen Moment alles andere stillgestanden und unwichtig geworden wäre. In den sozialen Netzwerken tauchte ein Logo mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ auf, mit dem viele im Internet ihre Solidarität mit der attackierten Zeitung zum Ausdruck bringen wollten.

Man hatte schon seit Wochen mit terroristischen Aktionen gerechnet. Denn Frankreich ist in Afrika und im Nahen Osten an vorderster Front am Kampf gegen den islamistischen Terror beteiligt. Immer wieder hatten französische Dschihadisten via Internet aus Syrien und Irak, dem Land, in dem sie aufgewachsen sind, mit „Vergeltungsaktionen“ gedroht. Als vor Weihnachten in Dijon und Nantes zwei vermutlich Geistesgestörte mit ihren Autos in die Menge fuhren, hatte man sofort befürchtet, dass es sich um Taten von Dschihadisten handeln könnte.

Der allem Anschein nach minutiös geplante Anschlag auf Charlie Hebdo und die Freiheit der Medien übersteigt aber allein schon wegen der dramatischen Opferbilanz die schlimmsten Befürchtungen. Es ist das schrecklichste Attentat seit vierzig Jahren. Und nichts garantiert der Bevölkerung, dass nicht noch weitere Attentate verübt werden.