Hamburg erlaubt Werbung an Schulen

Ab Oktober dürfen Firmen Plakate aufhängen und Flyer verteilen. Mit den Gebühren sollen Schulen ihren Etat steigern dürfen. Werbeagentur freut sich über „zukunftsträchtigen Markt“. Verbraucherzentrale: Schulkinder können sich nicht entziehen

In Schulkantinen der USA werden Schüler beim Mittagessen mit Werbespots beschallt. In Österreich tourt McDonald’s mit einer bunten Clownshow durch die Kindergärten. Dass auch in Deutschland Schulen nicht immer verantwortlich mit der Werbefreiheit umgehen, haben mehrere Fälle in der Vergangenheit gezeigt. So schickt der Getränkehersteller Coca-Cola seit 1996 kostenlos „Aktionsmobile“ zu Schulfesten. „1.000 Schulen in Bewegung“, nennt sich das Programm. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat diesen Juli gerade eine Werbung des Unternehmens Kellogg’s untersagt. Produktpackungen enthielten Taler, die Schüler gegen Sportartikel wie Badminton-Sets eintauschen konnten – wenn sie eine beachtliche Menge gesammelt hatten. Das sei geeignet gewesen, so der Bundesgerichtshof, „die geschäftliche Unerfahrenheit von Kindern und Jugendlichen auszunutzen“. EE

VON ELKE SPANNER

Wirtschaftsunternehmen dürfen ran ans Schüler-Taschengeld. Die Hamburger Bildungsbehörde hat beschlossen, ab Oktober Produktwerbung an Schulen zuzulassen. In Klassenräumen, auf Pausenhöfen und Fluren dürfen Firmen Plakate aufhängen, Flyer verteilen und Banner spannen, auf denen für die eigenen Produkte geworben wird. „Kinder und Jugendliche sind sowieso schon Werbeobjekte“, stellt der Sprecher der Hamburger Bildungsbehörde, Alexander Luckow, nüchtern fest. „Davon sollen jetzt auch die Schulen profitieren dürfen.“

Dass Schüler durch Werbung besonders leicht zu beeinflussen sind, ist in der Branche längst gesicherte Erkenntnis. Die Agentur Spread Blue beispielsweise, die auf Werbung an Schulen spezialisiert ist, hebt auf ihrer Internetseite hervor, dass Schüler „jeder Form von Werbung positiver gegenüber stehen als andere Bevölkerungsschichten“. Die Schule als Werbeumfeld sei deshalb besonders attraktiv – zumal die Kinder dort mindestens den halben Tag verbrächten. Geld sei dort auch zu holen: Deutsche Schüler verfügten über ein jährliches Taschengeldvermögen von rund neun Milliarden Euro: „Ein wahrhaft zukunftsträchtiger Markt“, findet Spread Blue.

Der endet nun nicht mehr vor Einrichtungen mit pädagogischem Auftrag. Laut der neuen Richtlinie sollen die Schulen eigenverantwortlich Werbeflächen verkaufen und die Einnahmen für eigene Zwecke verwenden. Welche Werbung eine Schule verbreite, sei der Entscheidung der Direktoren überlassen. Die wüssten um ihren Lehrauftrag und würden sicher keine Werbung für Produkte zulassen, die dem eigenen Bildungsauftrag widerspreche, sagt Luckow. „Unser Vertrauen in die Selbstverantwortung der Schulen ist sehr groß.“

Von dem durch Werbung erwirtschafteten Geld könnten die Schulen Geräte anschaffen, Ausflüge finanzieren oder den Schulverein unterstützen. Natürlich dürfe „der Unterricht nicht als Werbeveranstaltung genutzt werden“. Dass die Behörde die Schüler den Werbestrategen ausliefere, sieht er nicht: „Es ist ohnehin bekannt, dass Jugendliche ein interessanter Markt für die Wirtschaft sind.“

Gerade deshalb, hält Armin Valet von der Hamburger Verbraucherzentrale dem entgegen, müsse das Werbeverbot an den Schulen erhalten bleiben. Die Bildungseinrichtungen seien bislang für Kinder nahezu der einzige werbefreie Raum, und der müsse geschützt bleiben. Er erinnert daran, dass eine Schulpflicht besteht. Den Fernseher könne man ausschalten, sobald ein Werbeblock kommt. Am Unterricht aber müssten die Jugendlichen teilnehmen – und die Werbung damit über sich ergehen lassen. Der Verbraucherschützer weist auch darauf hin, dass viele Minderjährige überschuldet seien durch Rechnungen für Handys und Kleidung angesagter Marken. „Dem wird durch Werbung an Schulen weiter Vorschub geleistet“, sagt Valet.

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnt die Bildungsbehörde vor einem „Tabubruch“. Das Argument, die Schulen könnten mit den erwirtschafteten Mitteln ihre Ausstattung verbessern, offenbare, wie sehr sich der Senat aus seiner Verantwortung ziehe. „Nicht die Wirtschaft, sondern der Staat ist verantwortlich für die ausreichende Ausstattung an Schulen“, mahnt Sigrid Strauß, die stellvertretende Vorsitzende der Hamburger GEW. „Da ist es reichlich unverschämt, wenn die Behörde die Verantwortung über Produktwerbung den einzelnen Schulen zuschiebt und sich aus der Verantwortung stiehlt.“ Auch die SPD-Bürgerschaftsfraktion appelliert an den Senat, die „abenteuerlichen Pläne“ wieder zu begraben. „Wir wollen keine Coca-Cola-Schulen. Und wir sind sicher: Insbesondere die Eltern wollen das auch nicht“, sagt der SPD-Schulexperte Wilfried Buss.

Behördensprecher Luckow hingegen sieht in der Aufhebung des Werbeverbotes keinen Schritt Richtung Privatisierung der Bildung, sondern hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Schon jetzt sei an den Schulen Sponsoring erlaubt. Hier habe sich gezeigt, dass vor allem die Bildungseinrichtungen in reicheren Stadtteilen profitierten. Die dortigen Eltern hätten gute Kontakte zur Wirtschaft. Dadurch seien die Schulen in den den besseren Stadtteilen auch besser ausgestattet, was sozial ungerecht sei. Warum die Freigabe der Produktwerbung dem entgegensteuere? Gerade in den sozial schwächeren Stadtteilen, erklärt Luckow, seien die Schulen oftmals sehr groß. „Dadurch ist dort sehr große Kaufkraft vorhanden.“