„Titten für die Überseestadt“

Budenzauber In der Animierbar „Krokodil“ mischen sich Schauspieler, Moralbürger, Huren und Freier

■ 46, ist Musikerin und Moderatorin. Sie leitet das Programm „Golden City – neue Damen eingetroffen“ im Krokodil

taz: Frau Wilhelm, Sie lassen das Hafen- und Rotlichtmilieu der 50er- und 60er-Jahre in Walle aufleben. Wie nah an der Wirklichkeit bleiben Sie?

Frauke Wilhelm: Ganz nah! 95 Prozent sind echt! Das Programm basiert auf Interviews mit Zeitzeugen. Das sind Leute, die damals an „der Küste“, wie man das Gebiet um die Häfen nannte, gearbeitet haben. Die erzählen die dollsten Geschichten. Kurz nach dem Krieg konnte jeder, der plietsch genug war, sich eine goldene Nase verdienen.

Wie?

Na, da waren bis zu 50.000 Seeleute in den Häfen und am Anfang auch noch die Amerikaner. Die wollten sich auf ihren Landgängen amüsieren, zu der Zeit hatten die noch die Zeit dafür. Da brauchte einer nur drei Planken für eine Bar. Oder hat den Hühnerstall an die Frauen vermietet, die bald von überall her kamen.

Um sich zu prostituieren?

Ja, wobei das manche gar nicht so gesehen haben. Da ging es um anderes: In der Kneipe war es warm und der nette Amerikaner am Tresen hatte ein paar Dollars in der Tasche. Und nach den Kriegsjahren waren die Leute einfach in Feierlaune.

Klingt ja total nett …

War’s natürlich nicht nur, da sind ganz viele Frauen auf der Strecke geblieben, an Drogen oder Alkohol zugrunde gegangen. Die, mit denen ich gesprochen habe, haben auf sich aufgepasst. Und die Anwohner haben auch gelitten. Es waren teilweise 300 bis 500 Prostituierte unterwegs, da wurde in jeder Straße gevögelt.

Davon ist nicht viel geblieben.

Stimmt. Es gibt noch ein paar Bars, wo aber nicht mehr viel los ist, darunter das „Krokodil“. Und mehr Leben könnte vor allem die Überseestadt gebrauchen. „Titten, Tresen und Temperamente“ fordert deshalb meine Bühnenfigur Ramona Ariola.

Interview: eib

Sa und So, ab 11 Uhr im „Krokodil“, Nordstraße 371