„Im Tod nicht den Humor verlieren“

MUT Satire muss möglich sein, ohne dass man dafür erschossen wird, sagt „Titanic“-Chef Tim Wolff

■ Jahrgang 78, ist seit 2013 Chefredakteur der Satirezeitschrift Titanic. Zuvor arbeitete er dort als Onlineredakteur

INTERVIEW PAUL WRUSCH

taz: Herr Wolff, bei dem Anschlag auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo wurden zwölf Menschen getötet, darunter der Chefredakteur. Macht Ihnen das Angst?

Tim Wolff: Ich würde eher sagen, dass ich entsetzt und betroffen bin, ganz persönlich gesprochen. Aber professionell gesprochen, als Satiriker, ist das anders …

als Satiriker darf man keine Angst haben?

Nein, das schadet der Satire.

Charlie Hebdo hat in den vergangenen Jahren immer wieder Mohammed-Karikaturen gedruckt. Den Anus des Propheten, Mohammed mit Bombe als Turban. Ist die Zeitung damit zu weit gegangen?

Nein, natürlich nicht. So etwas muss möglich sein, ohne dass man dafür erschossen wird. Ich will aber auch vorsichtig dabei sein, das rein als Sache des Islam zu deuten. Wenn Menschen mit Raketenwerfern in eine Redaktion eindringen und Menschen töten, ist das ein hoch professioneller Vorgang, der nicht ohne politische Dimensionen vorstellbar ist.

Wird es für die Titanic Konsequenzen haben?

Wir lassen uns durch so ein Ereignis nicht unsere schöne Freiheit rauben, das zu machen, was wir für relevant und lustig halten. Bisher kommt der Berufsstand der Satiriker ja gut weg, man wird recht selten ermordet. Bis heute jedenfalls.

Sie ändern Ihre Arbeit also nicht?

Andere können es sich auch nicht leisten, ihr Verhalten nach so einem Ereignis zu ändern. Es wurden doch in der Vergangenheit viel mehr Polizisten erschossen als Satiriker. Die anderen Beamten machen trotzdem weiter. Und sicher wurden auch mehr Priester ermordet als Satiriker. Und die predigen auch noch.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit dem Satire-Verständnis von radikalen Muslimen?

Deutsche Muslime können sehr gut mit Satire umgehen. Entweder sie ignorieren uns einfach – Helmut Kohl hat das jahrelang vorgemacht –, oder sie haben mehr Humor, als man denkt. Wir haben jedenfalls noch nie Todesdrohungen oder Ähnliches von Muslimen erhalten. Und wir haben durchaus genügend Witze gemacht, bei denen man so etwas hätte erwarten können.

Gibt es Unterschiede zwischen der französischen und der deutschen Satire?

Ich bin da nicht sehr firm, mein Französisch ist zu schlecht. Aber meines Wissens ist in Frankreich Satire traditionell stärker in der Zeichnung, im Comic und der Karikatur beheimatet als bei uns. Und irgendwie gibt es auch eine gewisse Krassheit in der Darstellung. Aber bei dem Anschlag gab es ja allem Anschein nach eine spezifische Vorgeschichte, der Ursprung liegt ja eher in den dänischen Mohammed-Karikaturen, die damals im arabischen Raum mit zusätzlichen angeblichen Schmähungen ergänzt und verbreitet wurden, und Charlie Hebdo kam durch den Nachdruck der ursprünglichen Karikaturen ins Visier von radikalen Muslimen, wenn ich mich korrekt erinnere …

schon damals gab es heftige Proteste, 2011 gar einen Brandanschlag auf die Redaktionsräume …

… und Charlie Hebdo hat womöglich nun dafür bezahlt, standhaft geblieben zu sein. Diese aufrechte Haltung ist sehr ehrenhaft. Die Titanic ist bisher nicht in diesen Fokus geraten, obwohl wir damals auch ein paar der Karikaturen nachgedruckt und komikkritisch betrachtet haben. Ich hoffe natürlich, dass es so bleibt. Aber ich glaube auch nicht, dass das ein reines Problem der Satire ist. Es kann auch seriösen Zeitungen passieren, wenn sie den Propheten nach Ansicht Radikaler mit Worten schmähen. Das ist eine Tat von Wahnsinnigen, letztlich kommt man da rational nicht ran.

Die Titanic hat wenige Stunden nach dem Anschlag auf der Homepage gewohnt zynisch reagiert. „Wir machen weiter Witze – gleich nach der Mittagspause“, steht da und „Erste Versehrte sind zu beklagen, Kopfschmerzen nach lästigen Anrufen“. Im Netz bekamen Sie dafür viel Kritik …

… wir haben ja keine Witze über die Toten gemacht. Wir setzen uns vor allem damit auseinander, wie mit uns Satirikern nach dem Anschlag umgegangen wird. Und außerdem ist das nicht die einzige Reaktion, unser Header ist vorerst als Zeichen der Trauer schwarz statt rot. Ganz grundsätzlich gilt aber: Witze taugen dazu, sehr ernste Geschehnisse erträglich zu machen.

Weiter Witze zu machen ist also der beste Umgang mit einem solchen Ereignis?

Ja, es ist der richtige Umgang. Ein Kollege sagte am Nachmittag: Wenn ich erschossen werde, macht Witze darüber. Man sollte selbst im Tod den Humor nicht verlieren.

Die Anteilnahme nach dem Anschlag ist groß. Tausende sind auf die Straßen gegangen, solidarisieren sich durch „Je suis Charlie“-Plakate. Wünscht man sich als Satiriker so einen Rückhalt auch im Alltag?

Das ist natürlich erst mal gut, dass die Menschen auf die Straße gehen. Und es wäre schön, wenn man als Satiriker immer so viel Aufmerksamkeit bekäme wie heute. Aber nein, eigentlich ist das auch falsch. Satire, wie sie in der Titanic oder der Charlie Hebdo betrieben wird, ist kein Massenprodukt, das ist ein Ding für die Nische. Da wehrt sich ein kleiner Teil gegen die Zumutungen der Masse. Wenn etwa die Titanic millionenfach verkauft würde, dann könnten wir vieles nicht machen, weil es zu häufig missverstanden werden würde. Letztlich brauchen wir Satiriker also nicht ständige Solidarität, es ist schon in Ordnung, dass wir ein kleines, schmutziges Kampfblatt sind.