Seide mag nicht diskutieren

Unheimliche Stimmen: In ihrer Installation „Diabolic Tenant“ im Flughafen Tempelhof bringt Ines Schaber Dinge zum Sprechen über das Schicksal der Moderne

Wenn tote Objekte ihren angestammten Platz in der Ordnung der Dinge verlassen und selbst zu sprechen beginnen, dann ist das unheimlich, aber auch komisch. Im Flughafen Tempelhof, gleich links neben dem Haupteingang hat die Künstlerin Ines Schaber in einem kleinen Raum mit Blick nach draußen eine solche Situation inszeniert. Er wird dominiert von den massiven Säulen, die die Front des Flughafengebäudes so mächtig erscheinen lassen. Dazu nicht so recht passen will die typisch silberfarbene Unterdeckenkonstruktion. Die Glaswand, die den Raum nach innen hin vom Flur trennt, ist mit einem für Büros ebenso standardmäßigen Lamellenvorhang ausgestattet.

Ines Schaber hat nur ein einziges Objekt diesem Ensemble hinzugefügt, einen grünen Seidenvorhang, der im Raum eine elegante Kurve beschreibt und gut einen Zentimeter über dem Boden schwebt. Der Seidenvorhang verhält sich dabei zur Industrielamelle wie die geschichtsträchtigen Säulen zur Deckenverblendung. Da trifft ein historischer Wille zur Gestaltung auf aktuelle funktionale Lösungen, die den kleinsten gemeinsamen Nenner eines kollektiven ästhetischen Bewusstseins verkörpern.

Der Vorhang ist die Kopie eines Originals aus dem „Samt und Seidencafé“ von Lilly Reich und Mies van der Rohe in der Modeausstellung 1927 in Berlin. Das erfährt man lesend aus einem Faltblatt, während Seide und Lamelle tatsächlich miteinander reden. Ein spezielles Audiosystem sorgt dafür, dass die männliche Stimme der Lamelle und die weibliche Stimme dem Seidenvorhang entströmen, was besagten gespenstisch-komischen Effekt hervorruft. „Wir haben vieles gemeinsam“, sagt die Lamelle etwa, „wir organisieren das Verhältnis von innen und außen.“ Darauf antwortet Seide müde: „Ich bin Teil eines Entwurfs, der mit Altem brechen wollte; aufhören mit allem, was es gab, und was ganz Neues machen. Weg von allem, was für uns vorgesehen war – eine Befreiung.“

Doch mit der revolutionären Idee dieser textilen Moderne war es spätestens 1937 vorbei, als die Deutsche Textilausstellung, für die das Gestalterpaar arbeitete, dem Industrieimperium Hermann Görings einverleibt wurde. Er entließ van der Rohe und stellte der Gestalterin Lilly Reich den Architekten des Tempelhofer Flughafens Ernst Sagebiel zur Seite. Zusammen entwarfen Sagebiel und Reich die deutsche Textilpräsentation für die Weltausstellung 1937 in Paris.

Schabers Arbeit „Diabolic Tenant“ ist Teil einer Reihe mit dem Titel „Politics of Research“, die das Arts Program der Zeppelin Universität Friedrichshafen im Tempelhofer Flughafen veranstaltet. In den Eingangsbereich, in dem der Dialog stattfindet, hat Schaber alte Fotografien von Reichs Projekten mit van der Rohe und Sagebiel gehängt. Er habe da noch ein paar Fragen zu 1937, sagt Lamelle. Doch Seide hat auf diese Diskussion keine Lust: Man sei luxuriös gewesen und ein Modell für viele, frei von jeglicher Doktrin. Nach seinem Ausschluss von der Textilpräsentation und der Emigration in die USA fragte schon Mies van der Rohe: „Was ist so politisch an einer Seidenausstellung?“

In ihrem so amüsanten wie lehrreichen Streitgespräch gelingt es Lamelle und Seide, die sich über die Kontexte, Prämissen, Absichten und Folgen von moderner Architektur und Gestaltung in die Haare bekommen, etwas mehr Licht in die Angelegenheit zu bringen. Seide spricht von Abstraktion und von der Überbrückung der Entfremdung durch die Massenproduktion. Lamelle kontert mit dem Vorwurf, Seide und ihre Kollegen hätten nur zur Verschleierung des Warencharakters beigetragen. „Euer Gesamtkonzept wird abgelehnt. Eure Eleganz befürwortet“, lautet sein Fazit. Knapper kann man das Schicksal der Moderne nicht beschreiben, und manchmal sprechen auch kleine Dinge nicht nur für sich selbst.

ULRICH GUTMAIR

„Diabolic Tenant“: Flughafen Tempelhof, bis 15. September, Dienstag bis Samstag, 14 bis 22 Uhr