Ist der Papst Pop?
JA

KULT Joseph Aloisius Ratzinger alias Benedikt XVI. kommt diese Woche nach Deutschland. Gefeiert wird er wie Lady Gaga, Madonna

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Matthias Matussek, 57, hat das Buch „Das katholische Abenteuer“ veröffentlichtNatürlich ist der Papst Pop! Ich habe die katholische Kirche und ihr Konzept schon mit den Sex Pistols verglichen – nur ohne „Sex“ und ohne „Pistols“. Dafür hat der Papst die schöneren Klamotten. Man muss ihn und die Gegenwelt, für die er steht, ernst nehmen. Nicht verwässern durch diesen „Kirche von unten“-Quatsch, diese Jesuslatschen-Trivialisierungen. Im Grunde ist der Papst die letzte große Provokation unserer Zeit, eine Widerstandsfigur wie die Phänomene des Punk oder Pop. Er ist subversiver und anarchistischer als die Sex Pistols zu ihren besten Zeiten. Der Papst ist nicht Pop im Sinne der kapitalistischen Gebrauchskunst – aber was er sagt, ist so lebendig und erfrischend wie Pop es sein kann.

Josef Albert „Slomi“ Slominski, 73, wurde durch seine Papstfotografien bekannt

Schon Johannes Paul II. haben bei seinen Weltjugendtagen Millionen Menschen zugejubelt. Benedikt XVI. dann 2005 in Köln, wie auch jetzt in Madrid. Das heißt, dass man ihm sein Mühen um Frieden und Verständigung abnimmt. Und weil dieser hoch gebildete Papst bei seinem Staatsbesuch vor dem Bundestag sicher keine Predigt hält, sondern Themen anmahnt, zu denen viele nicht mehr zuhören wollen, sollte man dankbar für die Aufmerksamkeit sein, die die Menschen im Lande diesem Popstar entgegenbringen. Pop ist die Abkürzung für populär – volksnah!

Matthias Sellmann, 45, Professor für Pastoraltheologie an der Ruhr-Uni Bochum Keine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens bringt derzeit so viele Leute auf die Straßen wie der Papst – und das auch in kirchenkritischen Ländern. Der Papst ist Pop, weil er nach theologischer Sicht Ausdruck eines Volkes sein will: des populum dei, des „Volkes Gottes“. Die Kirche will Ausdruck der Leute sein, und zwar dezidiert auch der Leute, die ihren Glauben nicht teilen. Man kann da ruhig an einen Volkswandertag denken, an dem möglichst viele verschiedene Leute teilnehmen. Bequeme und Gehetzte, Junge und Alte, Schnelle und Langsame. Das Ziel der Wanderung heißt ganz klassisch: den Menschen Frieden und Gott die Ehre. Bei dieser Wanderung ist der Papst auch deswegen Pop, weil er entgegen mancher Meinung nicht an der Spitze wandern soll, sondern in der Mitte. Er ist eben nicht Frontmann und auch nicht Kompass. Er ist Fels, aber nicht Gipfel. Sein Platz ist im „Volk“: Er ist Pop.

Stefan Werres, 36, ist Lehrer und hat die Streitfrage auf taz.de beantwortet Mit seinem Einstehen gegen den Kommunismus hat Johannes Paul II. zum Fall der Mauer beigetragen. Zeitgeschichte beeinflusst. Benedikt, als Chef der Glaubenskongregation, legte die theoretischen Grundlagen. Dies könnte die Linke nun bewegt haben, der Papstrede fernzubleiben. Oder ist es Eifersucht, weil Fidel Castro schon den Papst, nicht jedoch die Linke mit rotem Teppich empfangen hat?

NEIN

Irmingard Schewe-Gerigk, 63, Vorsitzende von Terre des FemmesAuch wenn das Medienecho dem eines Popstars gleicht: Der Papst ist kein Popstar. Wer die Rechte der Mehrheit der Bevölkerung, also der Frauen, ignoriert; wer Schwule, Lesben und Transgender wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert, wird diesem Anspruch nicht gerecht. Der Papst unterstützt die weltweite Diskriminierung von Frauen durch Herabsetzung, Bevormundung und Gefährdung ihrer Gesundheit. Er billigt eine menschenfeindliche Geschlechter- und Sexualpolitik, kämpft gegen Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Sexuelle und reproduktive Rechte von Frauen werden durch das Verbot von Schwangerschaftsverhütung und -abbruch missachtet. Gläubigen wird durch Homophobie, Sexualfeindlichkeit und Überbewertung der Institution Ehe zwanghaft vermittelt, dass selbstbestimmte Sexualität „sündhaft“ sei. Dass Geschiedene, die erneut heiraten, zu diesen Sündigen zählen, ist auch in Anbetracht unseres (katholischen) Bundespräsidenten makaber. Als Staatsoberhaupt des Vatikanstaats hat der Papst weder das UN-Übereinkommen zur Beseitigungen jeder Form von Diskriminierung der Frau noch die europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Zudem zeigt der Ausschluss der Frauen von der Priesterweihe die frauenverachtende Ideologie des Vatikans.

Norbert Reicherts, 47, ist verpartnerter, selbständiger katholischer Priester Man könnte glauben, der Papst sei ein Popstar. Wo er auftaucht, versammeln sich jubelnde Massen. Die Welt wird eingeteilt in gut und schlecht. Plakative, einfache, und somit ausgrenzende Antworten auf wenige Fragen unserer Zeit. Gott und Segen verkaufend an die Fans eines Mannes. Aber nein, ein Papst ist der- oder diejenige, der oder die wie ein Mediator die unterschiedlichen, sich oft scheinbar widersprechenden und manchmal sogar sich gegeneinander ausschließenden Bilder des Glaubens miteinander im gemeinschaftlichen Leben vereint. Das Wort Pontifex, wie der Papst auch häufig bezeichnet wird, bedeutet Brückenbauer. Brückenbauer einer Einheit, die weit über die Realität der vielen getrennten und begrenzten Glaubensgemeinschaften hinausgeht. Durch diese Vergemeinschaftung werden Menschen zum Staunen gebracht über die Vielfältigkeit und Unerschöpflichkeit Gottes. Ein Papst hat keine einfachen und dogmatischen Antworten, keine Wahrheiten, sondern nur den Glauben. Jeder ist eingeladen, da Gott jeden einlädt. Der jetzige Papst baut aber keine Brücken.

Mathias Falk, 44, und Jan Sosein Carl, 40, vom Bündnis „Freiburg ohne Papst“:

Der Papst bringt uns Nippes aller Art. Die Merchandise-Turbine läuft auf Hochtouren. Gezielt werden junge Menschen mit separaten jugendlichen Veranstaltungen beworben. Der Hype um die letzte Papstwahl wies Ähnlichkeiten auf mit Shows, die die nächste Figur der massenmedialen Verwertung annoncieren. Sie mutete an wie die Wahl zum nächsten Superstar oder Topmodel. Auch der Papst selbst beteiligt sich am hippen Marketing. Der gute Zweck heiligt die Mittel. Die „Papstbank“, eine in Massenproduktion hergestellte Sitzbank von 5.000 Unikaten, ist ein fast warholscher Popansatz – nur eben ohne Kultur. Eigentlich, und zwar trotz dieser Äußerlichkeiten, ist am Papst nämlich gar nichts Popartiges. Er – und nach institutioneller Logik ist es immer ein Er – ist alleiniger, absoluter Herrscher eines Machtapparates, der sich entschieden gegen alles Populäre stellt. Die zum Gehorsam verpflichtete Organisation zielt darauf, das „anything goes“ der massenmedialen Kultur zu verdammen. Sein kulturkritischer Ansatz wendet sich gegen ein pluralistisches, demokratisches und selbstbestimmtes Leben. Geschmäht als Diktatur des Relativismus will er stattdessen ein Leben nach einer einzigen Wahrheit – der katholischen. Nach 500 Jahren Kampf gegen diesen Anspruch ist es grotesk, dass sich unsere aufgeklärten, ansonsten so gewiss rationalen Repräsentanten zu großen Teilen willfährig für die Huldigung dieses Religionsführers hergeben.